Die 4 Frau
hatten.
»KEINEN KÜMMERT'S«
2
Es sah nach einem ganz besonders grässlichen Selbstmord aus – nur dass von der Sprühdose jede Spur fehlte. Ich hörte, wie Charlie Clapper mit seinem Team von der Spurensicherung ankam und wie sie nebenan im Zimmer ihre Geräte auspackten. Rasch trat ich zur Seite, damit der Fotograf das Opfer ablichten konnte. Dann riss ich die Verlängerungsschnur aus der Steckdose.
Charlie wechselte die Sicherung aus. »Und es ward Licht«, sagte er, als schlagartig ein greller Schein die elende Bude erhellte.
Ich durchwühlte gerade die Kleider des Opfers auf der vergeblichen Suche nach irgendwelchen Ausweispapieren, als Claire Washburn, meine engste Freundin und die Leiterin der Gerichtsmedizin von San Francisco, zur Tür hereinkam.
»Ist 'ne ziemlich scheußliche Geschichte«, erklärte ich ihr, als wir zusammen ins Bad gingen. Claire ist ein unerschöpflicher Quell menschlicher Wärme in meinem Leben, und sie ist wie eine Schwester für mich – mehr als meine leibliche Schwester. »Fast hätte ich mich hinreißen lassen.«
»Wozu?«, fragte Claire mit sanfter Stimme.
Ich schluckte krampfhaft, um zu verhindern, dass mir der Mageninhalt hochkam. Ich hatte mich schon an vieles gewöhnt, aber Morde an Kindern und Jugendlichen – daran würde ich mich niemals gewöhnen.
»Ich hätte am liebsten in die Wanne gegriffen und den Stöpsel rausgezogen.«
In dem hellen Licht sah das Opfer noch erbarmenswerter aus. Claire ging neben der Wanne in die Hocke. Dazu musste sie ihren XXL-Körper fast auf S-Größe zusammenquetschen.
»Lungenödem«, sagte sie mit Blick auf den rosafarbenen Schaum, der aus Nase und Mund des Opfers ausgetreten war.
Sie fuhr mit den Fingerspitzen die leichten Blutergüsse um die Lippen und die Augen nach. »Sie haben ihn ein bisschen in die Mangel genommen, ehe sie den Schalter umgelegt haben.«
Ich deutete auf die senkrechte Schnittwunde in der Wange. »Was sagst du dazu?«
»Willst du meine Vermutung hören? Die Wunde dürfte genau zum Hebel dieses Toasters da passen. Sieht aus, als hätten sie dem Knaben damit eins verpasst,
bevor
sie ihn in die Wanne geworfen haben.«
Die Hand des Jungen ruhte auf dem Wannenrand. Claire hob sie behutsam an und drehte sie um. »Keine Totenstarre. Der Körper ist noch warm, und die Leichenflecke sind wegdrückbar. Er ist noch keine zwölf Stunden tot, wahrscheinlich sogar weniger als sechs. Keine sichtbaren Einstiche.« Sie fuhr mit der Hand durch das verfilzte Haar des Jungen und hob mit ihren behandschuhten Fingern seine geschwollene Oberlippe an. »War schon länger nicht mehr beim Zahnarzt. Vielleicht ist er irgendwo durchgebrannt.«
»Mmh«, sagte ich. Dann muss ich wohl eine Weile geschwiegen haben.
»Was denkst du, Schätzchen?«
»Dass ich wieder mal ein unidentifiziertes Mordopfer am Hals habe.«
Ich dachte an ein anderes unbekanntes Opfer im Teenageralter, einen obdachlosen Jungen, der in einem ganz ähnlichen Etablissement ermordet worden war, als ich gerade bei der Mordkommission angefangen hatte. Es war einer meiner schlimmsten Fälle überhaupt, und noch heute, nach zehn Jahren, ließ mir dieser Mord keine Ruhe.
»Ich werde mehr sagen können, wenn ich diesen jungen Mann erst auf meinem Autopsietisch habe«, sagte Claire, als Jacobi plötzlich den Kopf zur Tür hereinsteckte.
»Die Zeugin sagt, sie hätte dieses unvollständige Kennzeichen an einem Mercedes gesehen«, sagte er, »einem schwarzen Mercedes.«
Ein schwarzer Mercedes war auch bei dem ersten Stromschlagmord in der Nähe des Tatorts gesehen worden. Ich grinste, und so etwas wie Hoffnung stieg in mir auf. Ja, ich würde das zu meiner ganz persönlichen Angelegenheit machen. Ich würde den Dreckskerl finden, der diese Jugendlichen getötet hatte, und ich würde ihn hinter Gitter bringen, bevor er wieder zuschlagen konnte.
3
Eine Woche war seit dem Albtraum im Lorenzo Hotel vergangen. Die Spurensicherung sichtete immer noch den ganzen Schrott, den sie in Zimmer 21 aufgelesen hatte. Das aus drei Ziffern bestehende unvollständige Autokennzeichen unserer Informantin war entweder teilweise falsch, oder sie hatte einfach nur geraten. Und ich? Ich wachte jeden Morgen auf und war stinksauer und zugleich auch traurig, weil sich in diesem hässlichen Fall so absolut gar nichts bewegte.
Die toten Jugendlichen spukten in meinen Gedanken herum, als ich an diesem Abend ins Susie's fuhr, um mich mit den Mädels zu treffen. Das Susie's ist ein Bistro in unserem
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