Die 4 Frau
ein. »Mein Mandant – er möge namenlos bleiben – ist der Stiefsohn eines Teilhabers unserer Kanzlei, also
musste
ich ihn verteidigen«, sagte sie und zwirbelte ihre rote Strähne zwischen den Fingern. »Zwei Polizisten, die hinter einem Verdächtigen in einem Raubüberfall her sind, klopfen an seine Tür. Mein Mandant in spe sagt ›Herein!‹, er weiß nämlich nichts von dem Raubüberfall. Aber dann fügt er hinzu: ›Schauen Sie sich ruhig überall um – nur nicht auf dem Dachboden.‹«
»Los, weiter«, bedrängten wir sie. Yuki nippte an ihrem Germain-Robin Sidecar und blickte in die Runde.
»Das Gericht erlässt einen Durchsuchungsbeschluss, und die Cops finden das Geheimnis meines Mandanten auf dem Dachboden. Marihuana-Hydrokulturen unter Wachstumslampen. Das Urteil wird nächste Woche gefällt«, schloss sie unter dem schallenden Gelächter ihrer Zuhörerinnen.
So gingen die lebhaften Gespräche hin und her, und ich war rundum froh, wieder bei meiner Clique zu sein. Wir verstanden uns so gut und hatten schon so viel miteinander erlebt – auch mit unserer neuesten Freundin Yuki, die einstimmig in unseren Club aufgenommen wurde. Schließlich hatte ich es ihr zu verdanken, dass ich mein Leben noch so leben konnte, wie ich es gewohnt war.
Wir wollten gerade das Dessert bestellen, als ich eine vertraute Gestalt auf unseren Tisch zukommen sah – einen weißhaarigen Mann, der das eine Bein ein wenig nachzog.
»Boxer«, sagte Jacobi, ohne die anderen überhaupt eines Blickes zu würdigen. »Ich brauch dich, und zwar sofort. Das Auto steht mit laufendem Motor vor der Tür.«
Ich hielt instinktiv die Hand über mein leeres Glas. Mein Puls schaltete ein paar Gänge hoch, und vor meinem Inneren lief eine Dia-Show einer Verfolgungsjagd mit anschließender Schießerei vorbei.
»Was ist passiert?«, fragte ich ihn.
Er beugte sich zu mir herunter, aber anstatt mir etwas ins Ohr zu flüstern, gab er mir einen Kuss auf die Wange.
»Passiert ist gar nichts«, sagte er. »Eigentlich wollte ich ja aus einer Torte rausspringen, aber die Mädels hier haben mir davon abgeraten.«
»Danke, Jacobi«, sagte ich und lachte schallend. Ich legte ihm die Hand auf den Arm. »Komm, setz dich zu uns und hilf uns beim Dessert.«
»Da lass ich mich nicht lange bitten.«
Wir rückten alle ein bisschen zusammen, und Jacobi setzte sich zu uns. Der Ober brachte eisgekühlten Dom Perignon –gespendet von Jacobi –, und als unsere Champagnerflöten gefüllt waren, stießen meine alten und neuen Freunde mit mir auf meine Rückkehr an.
»Auf Lindsay. Willkommen zu Hause!«
Epilog
Die erste Woche im Dienst nach meiner Zwangspause brauste an mir vorbei wie ein Wirbelsturm.
Das Telefon klingelte ohne Unterlass, und alle paar Minuten kam jemand in mein Büro und meldete mir die neuesten Entwicklungen in einem von mehreren Dutzend aktuellen Fällen. Alarmstufe Rot überall.
Aber das grundlegende Problem stand mir deutlicher vor Augen als je zuvor. Die Aufklärungsquote unserer Abteilung dümpelte bei fünfzig Prozent herum und war damit eine der schlechtesten unter den großen Mordkommissionen des Landes.
Es lag nicht etwa daran, dass wir nicht gut waren – wir hatten schlicht zu wenig Personal und zu viel zu tun, und die Truppe ging auf dem Zahnfleisch. Die ganze Woche über hatten sich immer wieder Kollegen krankgemeldet.
Als Jacobi an diesem Freitagmorgen an die Glastür klopfte, winkte ich ihn herein.
»Lieutenant, in Ocean Beach sind Schüsse gefallen, zwei Tote. Ein Wagen ist schon vor Ort, ein zweiter unterwegs, aber die Kollegen fordern noch weitere Verstärkung an. Die Zeugen schieben Panik und fangen an, sich zu zerstreuen.«
»Wo ist dein Partner?«
»Feiert gerade krank.«
Ich konnte die ganze Truppe durch die Glaswände meines Büros sehen. Die Einzige, die gerade keinen Stapel ungelöster Fälle auf dem Schreibtisch hatte, war ich selbst. Ich schnappte mir meine Jacke vom Stuhl.
»Ich denke, das übernehmen wir«, sagte ich zu meinem früheren Partner. »Sag mir, was du weißt.«
»Zwei Gangs aus Daly City und Oakland haben sich auf einem Parkplatz am Strand zu einer kleinen Aussprache getroffen«, berichtete Jacobi.
Wir stürmten die Treppe hinunter. Draußen auf der McAllister schloss Jacobi den Wagen auf und setzte sich ans Steuer.
»Angefangen haben sie mit Messern, und dann hat einer eine Knarre ausgepackt. Zwei Tote, ein Verletzter. Zwei Verdächtige festgenommen. Einer der beiden ist ins Meer
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