Die 500 (German Edition)
Henrys Deal annehmen sollen. Sie schaffen es nicht mal bis zum Wochenende. Dann sind Sie tot. Oder Schlimmeres. Sie haben mich gefunden, dann findet er mich auch. Deshalb rede ich mit Ihnen. Ich bin so gut wie tot. Und es ist doch schön, wenn man noch etwas anschiebt, bevor man den Löffel abgibt, anstatt nur auf die Lasagne am nächsten Dienstag zu warten.«
Er schaute sich in seinem Zimmer um und betrachtete die gleichen Landschaftsposter, die aus dem gleichen Bett schon wer weiß wie viele vor ihm betrachtet hatten, während sie langsam gestorben waren. Ich hatte das Gefühl, dass er vor langer Zeit einen Deal angenommen hatte, der ihn namenlos und einsam zurückließ.
23
Ü ber Cartwright ließ ich meinem Vater die Nachricht zukommen, dass er mich da treffen solle, wo er mich damals vergessen hatte. Der Cutlass röhrte über den Feldweg und hielt neben dem Baseballfeld. Mit dem Treffen ging ich ein Risiko für uns beide ein, aber ich musste wissen, ob es ihm gut ging, und ich musste ihn warnen, dass Henry hinter ihm her war.
Ich lehnte das Halligan an den Maschendrahtzaun der Homebase. Als ich zehn war, stand ich an dieser Stelle und wartete vergeblich auf meinen Vater, weil er gedacht hatte, meine Mutter hätte mich nach dem Spiel abgeholt. Als es dunkel wurde, traf ich ein paar Jungs aus dem Dorf, und wir schlugen ein paar Bälle, spielten Verstecken und beschossen uns abwechselnd mit einem kleinen Spielzeugluftgewehr. Ich hatte meinen Vater noch nie so verängstigt gesehen. Sein Gesicht war weiß wie das eines Gespensts, als er an jenem Frühlingsabend durch die Felder stapfte und nach seinem Sohn suchte.
Genauso sah er jetzt auch aus.
»Alles okay?«, fragte er. Er musterte das Resultat einer beschissenen Woche: die Reibungsverbrennungen im Gesicht und das Hinkebein, die ich mir bei meinem Versuch eingehandelt hatte, mit dem Volvo das Rolltor in der Tiefgarage zu knacken, und die schwarzfleckige Schwellung an meinem Hals, die mir immer noch das Atmen erschwerte. Die Oberschenkelwunde, die ich mir in Haskins’ Landhäuschen zugezogen hatte, war schon verschorft und juckte wahnsinnig. Ein Zeichen, dass sie heilte.
»Ja«, sagte ich.
»Ging auch schon mal besser, was?«
Ich nickte. Er umarmte mich.
»Ist dir jemand gefolgt?«, fragte ich.
»Nein. Hab schon lange keinen Verfolger mehr abgehängt. Fehlt mir irgendwie. Warst du das, der die beiden aus den Nachrichten umgebracht hat?«
»Nein«, sagte ich. In den Medien war ich immer noch nicht als Hauptverdächtiger der Morde genannt worden. Wahrscheinlich hatte da Henry seine Hände im Spiel. Wenn meine Identität nicht bekannt wurde, hatte er immer noch die Chance, mich zurückzubekommen, konnte er mich immer noch damit locken, dass er die ganze Geschichte bereinigte, wenn ich nach gab. Ein Hebel mehr.
»Und der Bulle in der Damentoilette?«
»Ja, aber nur, weil ich da rausmusste. Alles andere ist eine abgekartete Sache.«
Das schien ihn nicht zu überraschen.
»Beschatten die dich?«, fragte ich.
Er nickte. »Ab und zu die Bullen. Manchmal steht auch ein Wagen gegenüber meinem Wohnwagen, wahrscheinlich irgendwelche Privatschnüffler. Ich hab auf dem Revier im Ort angerufen, dass da ein paar Spanner oder Exhibitionisten bei mir herumlungern. Wenn die Bullen dann vorbeigeschaut haben, hab ich mich hinten aus dem Wohnwagen geschlichen. Deine Freunde Marcus und Henry haben mir auch einen Besuch abgestattet.«
»Haben Sie dich bedroht?«
»Auf die elegante Art. Sie haben gesagt, wenn du kooperierst, bist du alle Sorgen los. Sie wollten, dass ich ihnen helfe.«
»Was hast du gesagt?«
»Dass ich nicht mit dir gesprochen hätte, mich aber mal umhören würde. Besser, man lässt sie zappeln, solange man selber noch nicht richtig weiß, wohin die Reise geht, anstatt ihnen direkt ins Gesicht zu sagen, dass sie sich verpissen sollen. Besser, man hält sie bei Laune, kann ja sein, dass wir sie noch brauchen.«
»Hast du James Perry umgebracht?«
»Ja«, sagte er, ohne zu zögern. »Das haben sie auch erwähnt. Machen sie damit Druck auf dich?«
»Ja. Ich soll vertuschen helfen, dass sie den Richter und das Mädchen ermordet haben.«
»Dann lass mich fallen«, sagte er. »Im Knast kenne ich mich ja aus.«
Ich schaute auf die Narbe an seiner Backe. Im Bau hatte ihm irgendwer den Mundwinkel aufgeschlitzt. Mit was für einem hässlich scharfen Gegenstand, wollte ich mir gar nicht vorstellen. Nein. Er würde den Kopf nicht für mich hinhalten
Weitere Kostenlose Bücher