Die 500 (German Edition)
oder?«
Ich machte das Klebeband ab.
»Danke«, sagte er.
Zitternd holte er Luft und sprach dann weiter. »Henry hatte Beweise gesammelt, hatte über jeden Auftrag, den er für seine Vorgesetzten erledigt hatte, jeden schmutzigen Trick, in den sie verwickelt gewesen waren, genau Buch geführt. Als seine Bosse ihn vor den Bus schubsen wollten, war er vor bereitet. Üble Dinge stießen ihnen zu. Er benutzte seine gesammelten Geheimnisse wie ein Skalpell. Er ging schrittweise vor. Es war unfassbar. Während er im Exil war, zerlegte er jeden, der ihm ans Zeug wollte. Ein Massaker, aus dem er unversehrt hervorging. Nun ja, fast unversehrt. Nach seiner Zeit in der Wildnis kehrte er als ziemlich düsterer Charakter zurück. Ich glaube, in dieser Zeit hat er gelernt, dass er mehr Macht ausüben konnte, wenn er im Dunkeln blieb und von dort aus die Fäden zog.
Er hatte mitgespielt und versucht, es seinen Bossen recht zu machen, um vorwärtszukommen. Er war arm wie eine Kirchenmaus, er wollte einfach ein großes Büro und ein großes Haus. Das hat ihn korrumpiert und seine öffentliche Karriere ruiniert. Seitdem hatte es den Anschein, als hätte er sein Leben einem einzigen Ziel gewidmet: Er wollte beweisen, dass jeder ehrbare Mann, dass die gesamte Hauptstadt korrumpiert wer den kann, dass die da draußen alle nicht besser sind als er.
Und dabei machte er richtig Kohle. Stück um Stück baute er ein Imperium auf. Angefangen hat er damit, für Wahlkampfteams Kandidaten zu durchleuchten: potentielle Vizepräsidenten, Minister, egal. Und er hat immer mehr zutage gefördert, als für den Job eigentlich nötig gewesen wäre, und wenn einer dieser Kandidaten ihm mal dumm kam, fand der sich zerfleddert auf der Titelseite der Post wieder. Einmal hat er den Federal Investigative Service geknackt. Von denen wird jeder durchleuchtet, der einen Job beim Staat will, das sind die Typen, die CIA-Bewerber fragen, ob sie schon mal Lust ge habt hätten, ihren Bruder zu vögeln, so ein Zeug. Das war eine Goldmine. Als Nächstes bekam er bei den Gebetsgruppen den Fuß in die Tür. Das ging in den Achtzigern los. Plötzlich beichtete jedes Schwergewicht in DC noch vor dem Frühstück seine intimsten Geheimnisse. Das waren natürlich heilige Zirkel, strikt vertraulich, aber Henry schaffte es, immer einen einzuschleusen, der ihm Bericht erstattete.«
»Was ist mit dem Beweis passiert?«, fragte ich. »Die haben im Hals von dem toten Pearson doch einen Fetzen von seinem Ohr gefunden. Was ist mit dem Blutbefund? Glasklarer kann’s doch nicht mehr werden.«
»Stimmt. Nur dass die Politicos den Bullen an Ort und Stelle auf die Zehen gestiegen sind. Die Beweisakte mit dem Ohrläppchen verschwand. Die offizielle Geschichte lautete: Pearson wurde von einem Einbrecher getötet. Irgendwer dachte sich, dass man die Akte den Bullen abkaufen könnte, um Henry damit an die Kette zu legen. Falsch gedacht.
Am Anfang wurde die Akte für einen ziemlich hohen Preis gehandelt. Druckmittel gegen Henry versprachen im Wert zu steigen. Der Beweis verschwand, während Henry im Ausland war, und am Anfang wusste er gar nicht, dass er existierte oder wer ihn hatte. Als er mächtiger wurde und die Leute, die ihm ans Leder wollten, von der Bildfläche verschwanden, verlor der Gedanke deutlich an Reiz, an der einzigen Sache festzuhalten, wofür Henry bereit war zu töten. Der Preis fiel. Schließlich gelangte der Beweis in die Hände eines Freundes von mir, James Perry, Parteivorsitzender in Virginia. Er versteckte ihn, ob aus Feigheit oder Schlauheit, wer weiß. Vernichten konnte er ihn nicht – er brauchte ihn für den Fall, dass Henry auch bei ihm anklopfen würde.«
Ich holte tief Luft. James Perry war der Mann, der laut Henry Davies mit meiner Mutter geschlafen hatte und von meinem Vater ermordet worden war. Meine Mutter war Perrys Sekretärin gewesen. Dieser ganze Schlamassel rückte mir, mei ner Familie, meiner Vergangenheit immer dichter auf den Pelz. Ich musste da durch. Vor allem musste ich diesen Beweis in die Finger bekommen. Die Frage, welcher Art die Verbindung zwischen meinem Vater und Henry Davies gewesen war, musste erst mal warten.
»Wo ist er jetzt?«, fragte ich.
Langford lachte bitter. »Das ist das Beste an der Geschich te. Perry hatte nebenher eine Baufirma laufen, Neubauten und Renovierungen. Seine Kumpane schusterten ihm jede Menge Regierungsaufträge zu. Für die Hälfte der Gebäude der Bundesbehörden in Washington hatte er die
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