Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
›Tunnel‹ zurückgehn wolln, ham aber nicht mehr können, weil man uns auch hinters ›Katr‹ gesetzt hat. Also sehn Sie, Herr Korporal, daß aus einem kleinen und belanglosen Mißverständnis etwas entstehn kann, was gar nicht der Rede wert |352| is. In Scheibe wieder war ein Bürger, und der war beleidigt, wie man ihm in Deutsch-Brod gesagt hat, daß er eine Tigerschlange is. Es gibt mehr solche Worte, was absolut nicht strafbar sind. Zum Beispiel, wenn wir Ihnen sagen möchten, daß Sie eine Ratte sind. Könnten Sie sich dafür auf uns ärgern?«
Der Korporal kreischte auf. Man kann nicht sagen, daß er brüllte. Ärger, Wut, Verzweiflung, alles ergoß sich in einer Reihe starker Töne, und diese Konzertnummer wurde ergänzt von den Pfiffen, die der schnarchende Oberfeldkurat mit der Nase vollführte.
Dem Kreischen folgte volle Depression. Der Korporal setzte sich auf die Bank, und seine wasserblauen, ausdruckslosen Augen hefteten sich in die Ferne auf Wälder und Berge.
»Herr Korporal«, sagte der Einjährigfreiwillige, »wenn Sie die rauschenden Berge und duftenden Wälder betrachten, erinnern Sie mich an die Gestalt Dantes. Dasselbe edle Dichterantlitz eines Mannes von feinem Herzen und Geist, vornehmen Regungen zugänglich. Bleiben Sie, bitte, so sitzen, es steht Ihnen so gut. Mit welcher Vergeistigung, ungezwungen, ohne jede Geziertheit Sie die Augen auf die Landschaft herauswälzen. Sicher denken Sie daran, wie schön es sein wird, bis sich hier im Frühling statt der öden Stellen ein Teppich bunter Wiesenblumen ausbreiten wird …«
»Welchen Teppich ein Bächlein umarmt«, bemerkte Schwejk, »und der Herr Korporal macht mit Speichel den Bleistift naß, sitzt auf einem Baumstamm und schreibt ein Gedicht in den ›Malý Čtenář‹ 6 .«
Der Korporal wurde vollständig apathisch, und der Einjährigfreiwillige behauptete, daß er den Kopf des Korporals ganz bestimmt in einer Ausstellung von Plastiken modelliert gesehen habe: »Erlauben Sie, Herr Korporal, sind Sie nicht vielleicht dem Bildhauer Štursa Modell gestanden?«
Der Korporal schaute den Einjährigfreiwilligen an und sagte traurig: »Nein.«
Der Einjährigfreiwillige verstummte und streckte sich auf die Bank aus.
|353| Die Soldaten der Eskorte spielten mit Schwejk Karten, der Korporal kiebitzte aus Verzweiflung und erlaubte sich zu guter Letzt die Bemerkung, Schwejk habe das grüne As ausgespielt, was ein Fehler sei. Er hätte nicht damit trumpfen sollen, dann wäre ihm der Siebner für den letzten Stich geblieben.
»In den Wirtshäusern«, sagte Schwejk, »hats früher so hübsche Aufschriften für Kiebitze gegeben. Ich erinner mich nur an eine: ›Kiebitz, halt die Goschen, sonst wirst du gedroschen.‹«
Der Militärzug fuhr in eine Station ein, wo ein Inspektionsoffizier die Waggons revidieren sollte. Der Zug hielt.
»Na also«, sagte der Einjährigfreiwillige unerbittlich, indem er den Korporal bedeutungsvoll anblickte, »die Inspektion ist schon da …«
In den Waggon trat die Inspektion.
Zum Kommandanten des Militärzuges war vom Stab der Reserveoffizier Doktor Mraz bestimmt worden.
Zu so einem dummen Dienst werden immer Reserveoffiziere befohlen, Doktor Mraz war davon ganz blöd. Er zählte fortwährend einen Waggon zuwenig, obwohl er in Zivil Mathematikprofessor am Realgymnasium war. Außerdem kollidierte der auf der letzten Station gemeldete Stand der Mannschaft in den einzelnen Waggons mit der Ziffer, die nach beendeter Einwaggonierung auf dem Budweiser Bahnhof angegeben worden war. Als er in die Papiere blickte, schien es ihm, daß er, weiß Gott woher, um zwei Feldküchen zuviel habe. Die Konstatierung, daß sich die Pferde auf unbekannte Weise vermehrt hatten, rief auf seinem Rücken ein ungewöhnlich unangenehmes Kitzeln hervor. Im Verzeichnis der Offiziere konnte er zwei Kadetten nicht eruieren, die ihm fehlten. In der Regimentskanzlei im vordersten Waggon suchte man unaufhörlich eine Schreibmaschine. Dieses Chaos verursachte ihm Kopfschmerzen; er hatte bereits drei Aspirine genommen und revidierte jetzt den Zug mit einem schmerzlichen Ausdruck im Gesicht.
Als er mit seinem Begleiter das Arrestantenkupee betrat, blickte er, während er den Rapport des vernichteten Korporals entgegennahm, in die Papiere. Der Korporal meldete, daß er |354| zwei Arrestanten führe und soundso viel Mannschaft habe. Doktor Mraz verglich nochmals in den Akten die Richtigkeit der Angaben und schaute sich dann im Kupee um.
»Wen
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