Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
durch überflüssiges Abspringen aus dem Waggon in voller Fahrt verkrüppeln, ist sträflich.
Das ist also Ihr Bataillon?« fragte er Hauptmann Sagner, die schläfrigen Gestalten der Mannschaft beobachtend, von denen sich viele nicht zurückhalten konnten und, aus dem Schlaf getrommelt, in der frischen Nachtluft gähnten. »Das ist ein gähnendes Bataillon, Herr Hauptmann. Die Mannschaft muß um neun Uhr schlafen gehn.«
Der General stellte sich vor die 11. Kompanie, an deren linkem Flügel Schwejk stand, der über das ganze Gesicht gähnte und sich dabei manierlich die Hand vor den Mund hielt; aber unter der Hand ertönte so ein Brummen, daß Oberleutnant Lukasch zitterte, der General könnte dem eine genauere Aufmerksamkeit schenken. Ihm schien, daß Schwejk absichtlich gähnte.
Und der General drehte sich um, überzeugt, daß es so war, und trat auf ihn zu: »Böhm oder Deutscher?«
|561| »Böhm, melde gehorsamst, Herr Generalmajor.«
»Gut«, sagte der General, der ein Pole war und ein wenig tschechisch verstand, »du brüllst wie eine Kuh. Stul pysk, drsch gubu, nebutsch! 2 Warst du schon auf der Latrine?«
»Nein, melde gehorsamst, Herr Generalmajor.«
»Warum bist du nicht mit den übrigen scheißen gegangen?«
»Melde gehorsamst, Herr Generalmajor, auf den Manövern in Pisek hat uns der Herr Oberst Wachtl gesagt, wie die Mannschaft während der Rast ins Korn gekrochen is, daß ein Soldat nicht immerfort nur ans Scheißen denken darf, ein Soldat soll ans Kämpfen denken. Übrigens, melde gehorsamst, was möchten wir dort auf der Latrine machen? Man hat nicht was herauszudrücken. Nach der Marschroute hätten wir schon auf einigen Stationen Nachtmahl kriegen solln, und gekriegt hamr nichts. Mit leerem Magen kriech ich nicht auf die Latrine!«
Nachdem Schwejk dem Herrn General die allgemeine Situation mit so einfachen Worten klargelegt hatte, schaute er ihn so zutraulich an, daß der General die Bitte herausfühlte, ihnen allen zu helfen. Wenn schon Befehl erteilt wird, in Marschformation zur Latrine zu gehen, so muß dieser Befehl auch innerlich durch etwas gestützt sein.
»Schicken Sie alles wieder in die Wagen«, sagte der General zu Hauptmann Sagner, »wie kommt es, daß die Mannschaft kein Abendessen bekommen hat? Alle Transporte, die diese Station passieren, müssen ein Abendessen bekommen. Hier ist die Verpflegsstation. Das geht nicht anders. Es besteht ein bestimmter Plan.«
Der General sagte dies mit einer Bestimmtheit, die bedeutete, daß es jetzt bereits nach elf Uhr nachts sei, daß das Nachtmahl, wie er bereits vorher bemerkt hatte, um sechs Uhr hatte verabreicht werden sollen und daß daher nichts anderes übrigbleibe, als den Zug noch eine Nacht und einen Tag über bis sechs Uhr abends hier zurückzuhalten, damit die Mannschaft Gulasch mit Kartoffeln bekomme.
»Es gibt nichts Ärgeres«, sagte er mit ungeheurem Ernst, |562| »als im Krieg während des Transportes von Soldaten ihre Verpflegung zu vergessen. Meine Pflicht ist festzustellen, wie es eigentlich in der Kanzlei des Bahnhofskommandos ausschaut. Denn, meine Herren, manchmal sind die Transportkommandanten selbst schuld. Bei der Revision der Station Sabatka auf der bosnischen Südbahn habe ich festgestellt, daß sechs Transporte kein Nachtmahl bekommen haben, weil die Transportkommandanten vergessen haben, es zu verlangen. Sechsmal hat man auf der Station Gulasch mit Kartoffeln gekocht und niemand hat es verlangt. Man hat es haufenweise weggegossen. Es war eine Senkgrube für Kartoffeln mit Gulasch, meine Herren, und drei Stationen weiter haben die Soldaten der Transporte, die in Sabatka an Haufen und Bergen von Gulasch vorbeigefahren sind, auf dem Bahnhof um ein Stück Brot gebettelt. Hier, wie Sie sehen, trug nicht die Militärverwaltung die Schuld.«
Er winkte heftig mit der Hand. »Die Transportkommandanten haben ihre Pflicht nicht erfüllt. Gehn wir in die Kanzlei.«
Sie folgten ihm, während sie darüber nachdachten, warum alle Generale verrückt geworden seien.
Auf dem Kommando stellte sich heraus, daß man von dem Gulasch wirklich nichts wußte. Es hätte heute – das stimmte – für alle Transporte gekocht werden sollen, die durchfuhren, aber dann war der Befehl gekommen, bei der Verrechnung der Verpflegung der Soldaten je zweiundsiebzig Heller pro Mann abzurechnen, so daß jeder durchfahrende Truppenteil ein Guthaben von zweiundsiebzig Heller pro Mann hatte, das ihm von seiner Intendanz bei der nächsten
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