Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
das hab ich euch zu sagen vergessen, daß er immer früh, mittag und abend, bevor er sich anzustopfen angefangen hat, gebetet hat, lang gebetet hat. Er hat also gebetet und sucht seine Rucksäcke unter der Pritsche. Ja, die Rucksäcke waren dort, aber ausgetrocknet, zusammengeschrumpft wie eine gedörrte Pflaume. Er hat angefangen zu schreien, daß er bestohln is, daß man ihm nur Klosettpapier dortgelassen hat. Dann hat er wieder fünf Minuten lang geglaubt, daß wir uns einen Jux machen, daß wirs wohin versteckt ham. Er sagt noch so lustig: ›Ich weiß, ihr seid Schwindler, ich weiß, ihr werdet mirs zurückgeben, aber gelungen is es euch.‹ – Da war euch dort unter uns ein Liebner, und der sagt: ›Wissen Sie was, decken Sie sich mit der Decke zu und zähln Sie bis zehn. Und dann schaun Sie in Ihre Rucksäcke.‹ – Er hat sich zugedeckt wie ein folgsamer Junge und zählt: Eins, zwei, |105| drei … Und der Liebner sagt wieder: ›Sie dürfen nicht so schnell, Sie müssen recht langsam.‹ – Und so zählt er unter der Decke langsam, in Pausen: Eins – zwei – drei … Wie er zehn gezählt hat, is er vom Kavallett gekrochen und hat sich seine Rucksäcke nachgeschaut. – Jesusmariandjosef, Leutln, hat er zu schrein angefangen, sie sind ja leer wie früher. – Und dabei sein blödes Gesicht, wir ham alle vor Lachen platzen können. Aber der Liebner sagt: ›Probieren Sies noch mal.‹ – Und werdet ihrs glauben, daß er von dem allen so blöd war, daß ers noch mal probiert hat, und wie er gesehn hat, daß er wieder nichts dort hat wie Klosettpapier, hat er angefangen in die Tür zu dreschen und zu schrein: ›Sie ham mich bestohlen, sie ham mich bestohlen, Hilfe, machts auf, um Christi willen!‹ Also sind sie gleich hineingestürzt, ham den Stabsprofos und Feldwebel Řepa gerufen. Wir alle, einer wie der andre, sagen, daß er verrückt geworn is, daß er gestern bis lang in die Nacht gefressn hat und daß er das alles aufgefressen hat. Und er hat nur geweint und fort gesagt: ›Es müssen doch irgendwo Bröserl sein.‹ – Also hat man die Bröserl gesucht und nicht gefunden, weil so gescheit waren wir auch. Was wir selbst nicht ham auffressen können, hamr per Post auf einer Schnur in den zweiten Stock geschickt. Sie ham uns nichts nachweisen können, obzwar der Trottel fort wiederholt hat: ›Die Bröserl müssen doch irgendwo sein.‹ – Den ganzen Tag hat er euch nichts gefressen und hat achtgegeben, ob niemand was ißt oder nicht raucht. Am nächsten Tag mittag hat er auch noch nicht die Minasch angerührt, aber abends hat er sich die verfaulten Erdäpfel und den Kohl schmecken lassen, nur daß er nicht mehr gebetet hat wie früher, bevor er sich an den Schinken und die Eier gemacht hat. Dann hat dort einer von uns von draußen Dramas bekommen, und da hat er mit uns zum erstenmal zu sprechen angefangen, damit wir ihm einen Schluck geben. Dreck hamr ihm gegeben.«
»Ich hab schon Angst gehabt, daß ihr ihm einen Schluck gegeben habt«, bemerkte Schwejk, »das hätt die ganze Erzählung verdorben. So einen Edelmut gibts nur in Romanen, aber im Garnisonsarrest unter solchen Umständen wärs ein Blödsinn.«
|106| »Und eine ›Decke‹ habt ihr ihm nicht gegeben?« ließ sich eine Stimme vernehmen.
»Dran hamr vergessen.«
Eine leise Debatte hub an, ob er obendrein noch eine »Decke« hätte bekommen solln oder nicht. Die Mehrzahl stimmte dafür.
Das Gespräch verstummte allmählich. Sie schliefen ein, während sie sich unter den Achseln, auf der Brust und auf dem Bauche kratzten, wo sich in der Wäsche die meisten Läuse halten. Sie schliefen ein, indem sie sich die verlausten Decken über die Köpfe zogen, damit das Licht der Petroleumlampe sie nicht störe.
Früh um acht Uhr forderte man Schwejk auf, in die Kanzlei zu gehen.
»Auf der linken Seite bei der Kanzleitür is ein Spucknapf, dort wirft man die Zigarettenstummel hinein«, belehrte Schwejk ein Arrestant. »Und im ersten Stock gehst du auch an einem vorbei. Man kehrt den Gang erst um neun, es wird was dort sein.« Aber Schwejk enttäuschte ihre Hoffnung. Er kehrte nicht mehr nach Nummer 16 zurück. Neunzehn Unterhosen kombinierten und vermuteten mancherlei.
Ein sommersprossiger Landwehrsoldat, der am meisten Phantasie besaß, verbreitete, Schwejk habe seinen Hauptmann angeschossen und man habe ihn auf den Exerzierplatz in Motol zur Hinrichtung geführt.
10
Schwejk als Offiziersdiener beim Feldkuraten
I
Schwejks Odyssee begann
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