Die Abenteuer des Röde Orm
Bewohner solcher Städte ein böses und listiges Geschlecht seien, so daß sie es verständen, ehrsame Leute vom Lande übers Ohr zu hauen und davon zu leben, ohne je die Hand an einen Pflug gelegt oder einen Stier angepflockt zu haben. Darum sei es eine gute Sache, sagten die Klugen, daß dreiste Seefahrer mitunter Menschen dieser Sorte heimsuchten und ihnen wegnähmen, was sie sich erlistet hatten. Alle starrten, während sie langsam stromauf ruderten, zur Stadt hinüber und meinten, daß hier in Wahrheit viel zu holen sei.
Doch Orm und Rapp, der Einäugige, sagten, sie hätten schon größere Städte gesehen, und gegen Cordova sei dies hier nicht viel.
Nun kamen sie an die große, aus gewaltigen Balken gebaute Brücke heran, unter der die größten Schiffe hindurchrudern konnten, wenn sie den Mast niederlegten. Hier strömte bei ihrem Anblick viel Volk zusammen, darunter auch viele Bewaffnete, die laut und viel von Heiden und Teufeln schrien; aber sie alle brachen in Jubel aus, als ihr Bischof ihnen mit mächtiger Stimme zurief, daß nun alles gut stehe und daß mit den Männern vom Meere Frieden geschlossen sei. Auf der Brücke standen die Leute dicht gedrängt, um die herankommenden Schiffe aus der Nähe zu sehen; und als die Schiffsleute mehrere schöne junge Frauen bemerkten, riefen sie ihnen eifrig zu, achtzugeben und herabzuspringen; denn an Bord könnten sie gute Heiraten machen, da gehe es munter zu und es gebe Silber und raschentschlossene junge Männer und auch genug Priester, um nach allerchristlichster Art auf der Stelle Trauungen vorzunehmen. Einige der jungen Frauen grinsten vergnügt und sagten, sie hätten schon Lust, es zu versuchen, es sei aber zum Hinabspringen zu hoch, worauf sie sofort von ernsthaften Verwandten an den Haaren gepackt wurden und zu hören bekamen, daß sie für ihr loses Geschwätz mit den Heiden nun Ruten auf die nackte Haut zu erwarten hätten.
Bruder Willibald schüttelte dazu den Kopf und sagte, sogar die Christen hätten es mit der Jugend recht schwer, und auch Rapp, der am Steuer stand,
schüttelte, als das Schiff schon unter der Brücke war, den Kopf und meinte finster, Frauen blieben sich ja doch mit ihrem leeren Gerede immer gleich.
»Sie hätten lieber den Mund halten und sofort, als es ihnen gesagt wurde, herabspringen sollen«, meinte er.
Jetzt näherte man sich Westminster und sah hohe Türme hinter den Bäumen aufragen. Die Bischöfe kleideten sich wieder in vollen Ornat, und die Priester ihres Gefolges stimmten eine alte Hymne an, die der heilige Columban bei der Taufe von Heiden zu singen pflegte:
»Da segelt sie hin, die gerettete Schar,
Nimm sie an, nimm sie an, Herr Gott!
Sie trieb auf den Wassern der Gefahr
In Sündennacht und Not.
Nun blickt sie zum Kreuz an der Erde Rand:
Dein Name wird froh von der Seele bekannt,
Die jüngst noch des Teufels war.
Nimm sie an, nimm sie an, Herr Gott!«
Das Lied tönte schön im klaren Abendschein über den Fluß, und als die Männer an den Rudern mit dem Gesang in Takt gekommen waren, hielten sie gut mit und fanden, daß es sich zu dieser Weise nicht schlecht rudern ließ.
Als das Lied zu Ende war, schwenkten sie nach rechts und legten an den Schiffsbrücken unterhalb der roten Mauern von Westminster an.
Von Hochzeit und Taufe und von König Ethelreds Silber
König Ethelred, der Ratlose, saß trübselig inmitten seiner vielen Ratgeber in Westminster und wartete auf das, was durch die Unterhandlungen mit den
Nordmännern erreicht werden würde. Er hatte Kriegsvolk um sich gesammelt, sowohl zu seinem eigenen Schutz in diesen schweren Zeiten als auch zum Überwachen der Bevölkerung von London, die nach der Niederlage von Maeldun anfing, unzufrieden zu werden. Sich selber zu Trost und Hilfe hatte er den Erzbischof bei sich, aber was der für ihn zu tun vermochte, war nicht viel; und seit die Gesandten sich auf den Weg gemacht hatten, war die Unruhe des Königs so groß, daß er nicht mehr auf die Jagd auszog und die Lust auf Messen und Frauen verloren hatte. Meist saß er mit einer Fliegenklappe da, in deren Handhabung er sehr geschickt war.
Er fuhr aus seiner Schwermut auf, als man ihm sagte, die Gesandten seien zurückgekehrt und mit den Nordmännern sei Frieden geschlossen; seine Freude wurde noch größer bei der Botschaft, daß Häuptlinge und Mannschaft mitgefolgt seien, um sich taufen zu lassen. Er befahl sogleich, daß alle Glocken geläutet und die Fremden aufs beste bewirtet würden; aber dann wurde er
Weitere Kostenlose Bücher