Die Abenteuer des Röde Orm
gesehen, und für das Dach benutzte er geschälte Stangen von jungem Birkenholz, die mit Birkenrinde und grasbewachsenen zähen Torfschollen gedeckt wurden. Dann baute er ein Brauhaus, einen Viehstall und ein Vorratshaus, alles geräumig und so angelegt, daß es zu einer Sehenswürdigkeit der Gegend wurde. Und nun schien ihm das Nötigste geschafft, so daß der Kirchenbau begonnen werden konnte.
Mit dem Frühling kam für Ylva die Zeit, da sie ihr erstes Kind gebären sollte. Äsa und Vater Willibald standen ihr mit so viel Geschäftigkeit bei, daß sie einander überrannten und wohl auch zu Fall brachten. Ylva hatte schwere Stunden; sie verfluchte sich und schrie: lieber wolle sie eine Nonne sein als Kinder gebären; aber Vater Willibald legte ihr sein Kruzifix auf den Leib und sprach über ihr Gebete in seiner Priestersprache; und schließlich ging alles gut, und sie wurde von Zwillingen entbunden. Es waren zwei Mädchen, und anfangs kam das Äsa und Ylva hart an; aber als die Neugeborenen zu Orm gebracht und ihm in den Schoß gelegt wurden, fand er nichts, worüber er hätte klagen mögen. Man war sich darüber einig, daß diese Mädchen ebenso tapfer schrien und strampelten wie Knaben, und sobald Ylva sich an sie gewöhnt hatte, wurde sie wieder froh und versprach Orm, daß es das nächstemal ein Knabe sein werde. Bald zeigte sich, daß beide Kinder rothaarig sein würden, und Orm meinte daher, daß es sich für die armen Kleinen nicht gerade günstig anlasse: denn bekämen sie seine Haarfarbe, so würden sie vielleicht auch im übrigen ihm gleichen, und das wolle er seinen Töchtern gewiß nicht wünschen. Aber Äsa und Ylva befahlen ihm streng, lieber zu schweigen als so unglückverheißendes Zeug zu reden, denn, sagten sie, so schlimm brauche es denn doch nicht zu werden, und rotes Haar sei kein Fehler.
Als die Rede darauf kam, wie die Mädchen heißen sollten, bestimmte Orm, daß die eine nach seiner Großmutter Oddny genannt würde, und das freute Äsa.
»Aber die andere soll nach einer Frau deines Geschlechtes heißen«, sagte er zu Ylva. »Du magst selbst wählen.«
»Recht wählen, so daß der Name Glück bringt, ist nicht leicht«, sagte Ylva. »Meine Mutter ist König Harald als Kriegsbeute zugefallen; als sie starb, war ich sieben Jahre. Sie hieß Ludmilla und war die Tochter eines Obotritenhäuptlings; und auf ihrer eigenen Hochzeit war sie geraubt worden. Sagen doch alle Heermänner, die jene Gegenden aufgesucht haben: es sei das beste, Obotriten und andere Wenden zu überfallen, wenn sie Hochzeit halten und alle betrunken sind; denn die Männer richten mit Waffen dann wenig aus, und die ausgestellten Wachen sind schon vom starken Met zur Strecke gebracht und schlafen, so daß mit wenig Mühe reiche Beute gemacht werden kann, sowohl an Schätzen als auch an jungen Frauen. Meine Mutter war schöner als alle Frauen, die ich gesehen, und obgleich sie jung starb, pflegte mein Vater zu sagen, daß ihr das Glück günstig gewesen ist. Denn drei Jahre lang war sie ihm mehr als alle anderen Frauen, und für eine Obotritin, sagte er, sei es nichts Geringes, das Lager des Dänenkönigs zu teilen und ihm eine Tochter zu schenken. Und dennoch, es mag sein, daß sie nicht ebenso dachte. Denn als sie tot war, hörte ich die Mägde davon tuscheln, sie habe – gleich als sie zu König Harald gekommen war – versucht, sich zu erhängen, und der Grund sei gewesen, daß sie gesehen hatte, wie ihr Bräutigam erschlagen wurde, während man sie selbst zu den Schiffen trug. Ich hatte sie sehr lieb, bin aber nicht sicher, ob ihr Name dem Kinde Glück bringen kann.«
Äsa meinte, an ihren Namen sei gar nicht zu denken, denn es gäbe kein größeres Unglück, als von Kriegern geraubt zu werden, und der gleiche Name könne dem Kinde leicht auch ein gleiches Schicksal bereiten; und Orm sagte: recht zu urteilen, sei in diesen Dingen nicht leicht.
»Denn ich selbst bin einmal von Kriegern geraubt worden«, sagte er, »und das halte ich heute nicht mehr für ein Unglück; denn wäre es nicht geschehen, dann wäre ich nie der Mann geworden, der ich heute bin, und hätte nie mein Schwert und die Goldkette gewonnen und auch nicht Ylva. Und wäre Ludmilla nicht geraubt worden, dann hätte König Harald nie die Tochter gehabt, die nun hier sitzt.«
Sich einig zu werden, war also nicht leicht; und obschon Ylva gern gesehen hätte, daß der Name ihrer guten und schönen Mutter fortlebte, so wollte sie doch nicht einer ihrer
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