Die Abenteuer des Sherlock Holmes Bd.1
sehr dünn und mit einer langen schmalen Nase?«
Der Stationsvorsteher lachte lauthals. »Nein, Sir, Dr. Becher ist Engländer, und im ganzen Sprengel gibt es keinen, der mehr unter der Weste hat als er. Aber bei ihm wohnt ein Gentleman, ein Patient, soviel ich weiß, der ist Ausländer. Dem würde eine deftige Portion BerkshireRindfleisch nicht schaden.«
Der Stationsvorsteher hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als wir alle in Richtung des Feuers davonhasteten. Die Straße lief über einen niedrigen Hügel. Oben stand ein großes getünchtes Haus, das aus allen Ritzen und Fenstern Flammen spuckte, und im Vorgarten standen drei Feuerwehren, die vergebens versuchten, den Brand zu löschen.
»Das ist es!« rief Hatherley in heftiger Erregung. »Dort ist der Kiesweg, und da sind die Rosensträucher, in denen ich gelegen habe. Aus dem zweiten Fenster drüben bin ich gesprungen.«
»Wenigstens«, sagte Holmes, »haben Sie sich an ihnen gerächt. Es steht außer Frage, daß Ihre Öllampe die Ursache war; sie hat die hölzernen Wände in Brand gesetzt, als sie in der Presse zerdrückt wurde. Man war zu hitzig auf der Jagd nach Ihnen, und so hat man das Feuer um die Zeit noch nicht bemerkt. Halten Sie jetzt die Augen offen, ob Sie in der Menge Ihre Freunde von letzter Nacht entdecken. Aber ich fürchte sehr, sie sind schon mindestens einhundert Meilen weit von hier.«
Und Holmes’ Befürchtung stellte sich als wahr heraus. Bis heute wurde nichts mehr von ihnen gehört, weder von der schönen Frau noch von dem finsteren Deutschen, noch von dem mürrischen Engländer. Früh am Morgen war ein Bauer einem schnell in Richtung Reading fahrenden Wagen begegnet, in dem einige Leute saßen und der mit ein paar sehr großen Kisten beladen war. Ab hier ging die Fährte der Flüchtigen verloren, und selbst Holmes’ Scharfsinn gelang es nicht, auch nur den geringsten Anhalt für ihren Aufenthalt zu entdecken.
Die Feuerwehrleute waren verstört wegen der seltsamen Einrichtung, die sie im Haus vorfanden, und noch mehr wegen des frisch abgehackten Daumens auf einer Fensterbank in der ersten Etage. Gegen Abend hatten ihre Anstrengungen dann doch Erfolg, es gelang ihnen, die Flammen zu löschen. Aber das Dach war eingestürzt und das Haus so sehr zerstört, daß außer zwei verbogenen Zylindern und einigen Eisenrohren nichts von der Maschine, die unseren unglücklichen Bekannten so teuer zu stehen kam, übriggeblieben war. In einem Gartenhaus wurden große Mengen Nickel und Zinn entdeckt, aber keine Münzen, was vielleicht die großen Kisten auf dem Wagen erklärt, auf die schon hingewiesen wurde.
Wie unser Ingenieur für Hydraulik aus dem Garten zu der Stelle gekommen ist, an der er das Bewußtsein wiedererlangte, hätte für immer ein Geheimnis bleiben müssen, wäre da nicht die weiche Gartenerde gewesen, die eine sehr klare Geschichte erzählte. Offenbar hatten zwei Personen ihn weggetragen, die eine besaß bemerkenswert kleine Füße, die andere ungewöhnlich große. Danach war es höchstwahrscheinlich, daß der schweigsame Engländer, ein weniger rücksichtsloser oder mordlüsterner Mann als sein Kumpan, der Frau geholfen hatte, den Ohnmächtigen aus der Gefahrenzone zu bringen.
»Das«, sagte unser Ingenieur kläglich, als wir zur Rückfahrt nach London unsere Plätze eingenommen hatten, »war ein schönes Geschäft für mich! Ich habe meinen Daumen verloren, dazu ein Honorar von fünfzig Guineas. Und was habe ich gewonnen?«
»Erfahrung«, sagte Holmes lachend. »Und die kann indirekt von Wert sein. Sie brauchen sie nur in Worte zu fassen, und Sie werden für den Rest Ihres Lebens in dem Ruf stehen, ein äußerst unterhaltsamer Mensch zu sein.«
Der adlige Junggeselle
Die Hochzeit von Lord St. Simon und ihr seltsamer Ausgang ist längst nicht mehr Gegenstand des Interesses jener erhabenen Kreise, in denen der unglückliche Bräutigam verkehrt. Neue Skandale und deren pikantere Einzelheiten haben die Geschichte verdunkelt und den Klatsch von dem vier Jahre alten Drama abgezogen. Da es aber Grund gibt, anzunehmen, daß nie alle Details an die Öffentlichkeit gelangt sind, und weil mein Freund Sherlock Holmes beträchtlichen Anteil an der Aufklärung der Angelegenheiten hatte, glaube ich, ein Buch über die Denkwürdigkeiten seines Lebens ohne eine kleine Skizze dieser Episode wäre unvollständig.
Es war einige Wochen vor meiner eigenen Hochzeit, noch lebte ich mit Holmes zusammen
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