Die Abenteuer des Sherlock Holmes Bd.1
Über schrift: ›Ungewöhnliches Ereignis auf vornehmer Hochzeit.‹ Dann heißt es:
›Die Familie von Lord Robert St. Simon ist durch die eigenartigen und schmerzlichen Vorfälle am Tage seiner Hochzeit aufs äußerste bestürzt. Die Zeremonie wurde, wie gestern bereits kurz gemeldet, vollzogen; erst jetzt hingegen ist es möglich geworden, die seltsamen Gerüchte zu bestätigen, die sich so hartnäckig gehalten haben. Trotz der Versuche von Freunden, die Dinge zu vertuschen, blieb die öffentliche Aufmerksamkeit davon derart angezogen, daß wir den Betroffenen keinen guten Dienst erweisen, wenn wir etwas vernachlässigen, das Tagesgespräch geworden ist.
Bei der sehr stillen Zeremonie in St. George am Hanover Square waren nur der Vater der Braut, Mr. Aloysius Doran, der Duke of Balmoral, Lord Backwater, Lord Eustache und Lady Clara St. Simon (der jüngere Bruder und die Schwester des Bräutigams) und Lady Alicia Whittington zugegen. Die Gesellschaft begab sich anschließend zum Haus des Mr. Aloysius Doran am Lancaster Square, wo ein Frühstück bereitet war. Es scheint, als hätte es etwas Ärger mit einer Frau gegeben – ihr Name konnte nicht festgestellt werden –, die sich nach der Hochzeitsgesellschaft gewaltsam Einlaß in das Haus verschaffen wollte, indem sie behauptete, einen Anspruch auf Lord St. Simon zu haben. Erst nach einer peinlich langen Szene konnten der Butler und ein Diener sie hinauswerfen.
Die Braut, die glücklicherweise vor der unangenehmen Störung das Haus betreten hatte, saß mit den anderen beim Frühstück, als sie eine plötzliche Indisposition empfand und sich in ihr Zimmer zurückzog. Da ihre lange Abwesenheit zu Bemerkungen Anlaß gab, ging ihr Vater, nachzusehen, doch er erfuhr von der Zofe, sie sei nur für einen Augenblick im Zimmer gewesen, habe Mantel und Hut genommen und dann eilig fortgegangen. Ein Diener erklärte, eine so gekleidete Dame habe das Haus verlassen, er sei aber nicht auf den Gedanken gekommen, daß es seine Herrin war, da er sie in der Gesellschaft vermutete. Nachdem Mr. Aloysius das Verschwinden seiner Tochter festgestellt hatte, benachrichtigten er und der Bräutigam die Polizei, und es wurden energische Untersuchungen eingeleitet, die wahrscheinlich bald Licht in die ungewöhnliche Geschichte bringen werden. Bis zum späten Abend des gestrigen Tages sind allerdings noch keine Nachrichten über den Verbleib der vermißten Lady nach außen gedrungen. Es gibt Gerüchte über unehrliches Spiel, und es heißt, die Polizei habe die Verhaftung der Frau angeordnet, die den ärgerlichen Zwischenfall vorm Haus verursacht hatte, weil sie glaube, daß die Frau aus Eifersucht oder aus einem anderen Motiv möglicherweise in das sonderbare Verschwinden der Braut verwickelt sei.‹«
»Ist das alles?«
»Es gibt noch eine kleine Notiz in den Morgenzeitungen, aber da handelt es sich um eine Vermutung.«
»Und um welche?«
»Daß Miss Flora Millar, die Dame, die da gestört hat, wirklich verhaftet worden sei. Sie soll früher Tänzerin im ›Allegro‹ gewesen sein und außerdem den Bräutigam seit Jahren kennen. Sonst werden keine weiteren Einzelheiten mitgeteilt. Sie kennen nun den ganzen Fall – soweit er in der Presse bekanntgemacht wurde.«
»Es scheint ein äußerst interessanter Fall zu sein. Um nichts in der Welt möchte ich ihn missen. Aber es klingelt, Watson, und da die Uhr einige Minuten nach vier zeigt, hege ich keinen Zweifel, daß das unser adliger Klient ist. Lassen Sie sich nicht einfallen zu gehen; ich sähe es sehr gern, wenn ich einen Zeugen hätte, und sei es nur, daß er mein Gedächtnis unterstützt.«
»Lord Robert St. Simon«, verkündete unser junger Diener und stieß die Tür auf. Ein Gentleman trat herein. Er hatte ein angenehmes, intelligentes Gesicht mit kräftiger Nase. Er war bleich, um den Mund spielte eine gewisse Launenhaftigkeit, und er hatte das stete, offene Auge dessen, der gewohnt ist, daß seinen Befehlen Folge geleistet wird. Er gab sich energisch, doch vermittelte seine ganze Erscheinung einen unklaren Eindruck von Alter, denn er ging ein wenig gebeugt, und die Knie waren leicht gekrümmt. Auch sein Haar, das wir sahen, da er den Hut mit der hochgebogenen Krempe abnahm, ergraute schon an den Schläfen und war oben dünn. Was seine Kleidung anging, so war sie gewählt, fast stutzerhaft: hoher Kragen, schwarzer Gehrock, weiße Weste; gelbe Handschuhe, Lackschuhe und helle Gamaschen. Er kam
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