Die Abenteuer des Sherlock Holmes Bd.1
Verbindung enden lassen.«
»Und Irene Adler?«
»Droht, ihnen die Fotografie zu schicken. Und sie wird es tun. Ich weiß, daß sie es tun wird. Sie kennen sie nicht, sie hat eine Seele von Stahl. Sie hat das schönste Frauengesicht und den entschlossensten Manneswillen. Wenn ich eine andere Frau heiraten sollte, es gäbe nichts, das sie unversucht lassen würde – nichts.«
»Sind Sie sicher, daß sie das Bild noch nicht abgesandt hat?«
»Ich bin sicher.«
»Und warum?«
»Weil sie gesagt hat, sie würde es an dem Tage schicken, an dem meine Verlobung öffentlich verkündet wird. Das geschieht am nächsten Montag.«
»Oh, dann bleiben uns drei Tage«, sagte Holmes mit einem Gähnen. »Das trifft sich glücklich, weil ich momentan noch zwei, drei wichtige Sachen habe, um die ich mich kümmern muß. Eure Majestät werden doch wohl vorerst in London bleiben?«
»Gewiß. Sie können mich im ›Langham‹ erreichen, unter dem Namen des Grafen von Kramm.«
»Dann werde ich Ihnen Nachricht geben, um Sie ins Bild zu setzen, wie wir vorankommen.«
»Bitte, tun Sie das. Ich bin voller Unruhe.«
»Und wie steht es mit dem Geld?«
»Sie haben carte blanche .«
»Absolut?«
»Ich würde eine Provinz meines Königreiches geben, um an die Fotografie heran zu kommen.«
»Und was ist mit den laufenden Ausgaben?«
Der König zog einen schweren Beutel aus Sämischleder unter dem Umhang hervor und legte ihn auf den Tisch.
»Hier sind dreihundert Pfund in Gold und siebenhundert in Banknoten«, sagte er.
Holmes kritzelte eine Quittung auf ein Blatt seines Notizbuchs und gab sie ihm.
»Und die Adresse von Demoiselle?« fragte er.
»Briony Lodge, Serpentine Avenue, St. John’s Wood.«
Holmes schrieb es auf. »Noch eine Frage«, sagte er.
»Hat die Fotografie Kabinettformat?«
»Ja.«
»Dann also gute Nacht, Eure Majestät. Ich bin sicher, daß wir bald einige gute Nachrichten für Sie haben werden. Und gute Nacht, Watson«, fügte er hinzu, als die Räder des königlichen Brougham die Straße hinunterrollten. »Wenn Sie so gut sein wollten, morgen nachmittag um drei Uhr vorbeizukommen, würde ich mich gern über diese Kleinigkeit mit Ihnen unterhalten.«
II
Punkt drei Uhr war ich in der Baker Street, aber Holmes war noch nicht zu Hause. Die Wirtin teilte mir mit, daß er die Wohnung kurz nach acht Uhr morgens verlassen habe. Ich setzte mich ans Feuer, in der festen Absicht, auf ihn zu warten, wie lange er auch ausbleiben mochte.
Ich war an seinen Nachforschungen bereits höchst interessiert; denn obwohl dieser Fall sich nicht so düster ausnahm wie die beiden Verbrechen, über die ich an anderer Stelle bereits berichtete, besaß er auf seine Weise und durch die hohe Stellung des Klienten einen eigenen Charakter. Abgesehen aber von den Besonderheiten dieses Falles, in dem mein Freund gegenwärtig ermittelte, war es das meisterliche Erfassen einer Situation und die Strenge und Prägnanz seiner Schlüsse, was es mir zu einem Vergnügen mach te, sein Arbeitssystem zu studieren und seinen lebendigen, einfühlsamen Methoden zu folgen, mit denen er die verzwicktesten Rätsel löste. Ich war an seinen beständigen Erfolg so gewöhnt, daß mir die Möglichkeit eines Mißerfolgs überhaupt nicht in den Kopf kommen wollte.
Es war kurz vor vier Uhr, als dann die Tür aufging und ein betrunken aussehender Stallknecht mit wirrem Haar und langen Koteletten, gerötetem Gesicht und schlampiger Kleidung ins Zimmer trat. Obwohl ich die erstaunlichen Verkleidungskünste meines Freundes kannte, mußte ich dreimal hinschauen, ehe ich bestimmt wußte, daß er es war. Mit einem Kopfnicken verschwand er im Schlafzimmer, und fünf Minuten später kam er wie gewohnt in Tweedjacke ganz respektabel wieder zum Vorschein. Er steckte die Hände in die Taschen, streckte vorm Kamin die Beine aus und lachte einige Minuten lang aus vollem Herzen.
»Wirklich«, rief er, dann blieb ihm die Luft weg, und wieder lachte er, bis er hilflos und schlaff im Sessel lehnte.
»Was gibt’s denn?«
»Es ist zu komisch. Ich bin sicher, Sie erraten nicht, wie ich meinen Morgen zugebracht habe und was ich dabei erreichte.«
»Ich kann es mir nicht vorstellen. Ich nehme an, daß Sie die Gewohnheiten und vielleicht das Haus von Miss Irene Adler studiert haben.«
»Ganz recht. Aber was dann folgte, war ziemlich ungewöhnlich. Ich werde es
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