Die Abenteuer des Sherlock Holmes Bd.1
Krüppels sagten dem Inspektor, daß die Sache ernst sei. Das Zimmer wurde sorgfältig durchsucht, und alles deutete auf ein abscheuliches Verbrechen hin. Das Vorderzimmer ist ein Wohnraum mit einfachen Möbeln; davon geht ein kleines Schlafzimmer ab, dessen Hinterfenster auf eine der Werften schaut. Zwischen der Werft und dem Schlafzimmerfenster liegt ein schmaler Streifen Land, bei Ebbe ist er trocken, aber bei Flut mit wenigstens viereinhalb Fuß Wasser bedeckt. Das Fenster ist breit, und man kann es von unten aufschieben. Die Untersuchung erwies Blutspuren auf dem Fensterbrett und einige Blutspritzer auf dem Holzfußboden des Schlafzimmers. Hinter einem Vorhang im Vorderzimmer steckten die Kleider von Mr. St. Clair, nur der Rock fehlte. Seine Stiefel, seine Socken, sein Hut und seine Uhr – alles war da. An den Kleidern fand man keine Hinweise auf Gewaltanwendung. Weitere Spuren von Mr. Neville St. Clair gab es nicht. Er muß durch das Fenster verschwunden sein, denn man konnte sonst keinen Ausgang entdecken, und die verhängnisvollen Blutflecken auf dem Fensterbrett ließen wenig Hoffnung, daß er sich durch Schwimmen gerettet haben könnte, obwohl zum Zeitpunkt der Tragödie die Flut auf dem höchsten Stand war.
Und nun zu den Schurken, die anscheinend direkt in die Angelegenheit verwickelt sind. Der Laskar ist für sein schlimmes Vorleben bekannt, aber da wir von Mrs. St. Clair wissen, daß er unten an der Treppe stand, wenige Minuten nachdem sie ihren Mann am Fenster gesehen hatte, kann er kaum mehr als ein Mitschuldiger an dem Verbrechen sein. Er verteidigte sich, indem er vorgab, absolut nichts zu wissen, und beteuerte, er hätte keinerlei Kenntnis vom Tun und Lassen des Hugh Boone, seines Mieters, und er könnte nichts darüber sagen, wie die Kleider des vermißten Herrn in das Zimmer gekommen seien. Soviel zu dem Geschäftsführer Laskar. Nun zu dem traurigen Krüppel, der im zweiten Stock über der Opi umhöhle wohnt und mit Sicherheit der letzte gewesen ist, der Neville St. Clair gesehen hat. Er heißt Hugh Boone, und sein scheußliches Gesicht kennt jeder, der öfters in der City zu tun hat. Er ist ein berufsmäßiger Bettler, obwohl er, um die polizeilichen Vorschriften zu umgehen, vorgibt, einen Handel mit Wachszündhölzern zu betreiben. Am Anfang der Threadneedle Street, auf der linken Seite, gibt es, wie Ihnen vielleicht schon aufgefallen ist, einen kleinen Winkel. Dort läßt sich die Kreatur täglich nieder und sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen, seinen kleinen Vorrat Zündhölzer im Schoß, da. Er bietet ein erbärmliches Bild, und so ergießt sich ein kleiner Regen Wohltätigkeit in die schmierige Ledermütze, die vor ihm auf dem Pflaster liegt. Ich habe den Burschen mehr als einmal beobachtet, ehe ich noch dachte, daß ich jemals von Berufs wegen seine Bekanntschaft machen würde, und ich war erstaunt über die Ernte, die er in kurzer Zeit einsammelt. Sein Äußeres, müssen Sie wissen, ist so bemerkenswert, daß keiner an ihm vorüber kann, ohne auf ihn aufmerksam zu werden. Apfelsinenrotes Haar, ein bleiches Gesicht, entstellt von einer schrecklichen Narbe, die, als sie zusammenwuchs, die Oberlippe schief nach oben gezogen hat, ein Kinn wie eine Bulldogge und ein Paar durchdringende dunkle Augen, die in seltsamem Kontrast zu der Haarfarbe stehen – all das hebt ihn aus der Menge der üblichen Bettler heraus. Dafür sorgt auch sein Witz, denn auf jede Neckerei eines Passanten hat er eine Antwort parat. Das ist der Mann, von dem wir jetzt wissen, daß er über der Opiumhöhle wohnt und daß er der letzte war, der den Herrn, nach dem wir suchen, gesehen hat.«
»Aber ein Krüppel!« sagte ich. »Was könnte ein Einarmiger gegen einen Mann in der Blüte seiner Jahre ausrichten?«
»Er ist nur insofern ein Krüppel, als er beim Gehen hinkt, aber sonst scheint er ein kräftiger, wohlgenährter Mann zu sein. Aus Ihren ärztlichen Erfahrungen wissen Sie sicher, daß die Schwäche eines der Glieder oft durch außergewöhnliche Kraft der anderen kompensiert wird.«
»Bitte, fahren Sie in Ihrer Erzählung fort.«
»Mrs. St. Clair wurde ohnmächtig, als sie das Blut auf dem Fensterbrett sah, und die Polizei begleitete sie in einer Kutsche nach Hause, da sie bei den Untersuchungen keine Hilfe sein konnte. Inspektor Barton, der den Fall übernommen hat, suchte das ganze Grundstück sorgfältig ab, fand aber nichts, das Licht in die Angelegenheit bringen konnte. Man hat
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