Die Abenteuer des Sherlock Holmes
denen, die Mr. Rucastle hat.«
»Das haben Sie wirklich sehr gut gemacht!« rief Holmes begeistert. »Zeigen Sie uns jetzt den Weg, und wir werden bald das Ende dieser finsteren Angelegenheit sehen.«
Wir stiegen die Treppen hinauf, schlössen die Tür auf, gingen den Gang entlang und befanden uns dann vor der Barrikade, die Miss Hunter beschrieben hatte. Holmes zerschnitt die Schnur und entfernte die Querstange. Dann probierte er die verschiedenen Schlüssel am Schloß aus, aber ohne Erfolg. Kein Geräusch drang von innen zu uns, und bei der Stille verdüsterte sich Holmes’ Gesicht.
»Ich hoffe, wir sind nicht zu spät«, sagte er. »Miss Hunter, ich glaube, wir sollten besser ohne Sie hineingehen. Also, Watson, her mit Ihrer Schulter, und dann werden wir sehen, ob wir nicht einen Eingang machen können.«
Es war eine alte, morsche Tür, und als wir unsere Kräfte vereinten, gab sie sofort nach. Gemeinsam stürzten wir in den Raum. Er war leer. Die gesamte Einrichtung bestand aus einem kleinen Strohlager, einem winzigen Tisch und einem angefüllten Wäschekorb. Das Fenster im Dach stand offen, und die Gefangene war fort.
»Hier hat eine Schurkerei stattgefunden«, sagte Holmes. »Der Kerl hat Miss Hunters Absichten erraten und sein Opfer fortgeschafft.«
»Aber wie?«
»Durch die Dachluke. Wir werden gleich sehen, wie er das gemacht hat.« Er schwang sich auf das Dach. »Ah, ja«, rief er. »Da an der Traufe lehnt eine lange leichte Leiter. So hat er es gemacht.«
»Aber das ist unmöglich«, sagte Miss Hunter. »Die Leiter war nicht da, als die Rucastles fortgefahren sind.«
»Er ist zurückgekommen und hat es dann getan. Ich sage Ihnen, er ist schlau und gefährlich. Ich wäre nicht überrascht, wenn das jetzt seine Schritte auf der Treppe wären. Watson, ich glaube, es könnte nicht schaden, wenn Sie Ihren Revolver bereithielten.«
Er hatte es kaum gesagt, als ein Mann in der Zimmertür erschien, ein sehr fetter, stämmiger Mann mit einem dicken Stock in der Hand. Miss Hunter schrie auf und preßte sich bei seinem Anblick gegen die Wand, aber Sherlock Holmes sprang vor und stellte sich ihm in den Weg.
»Schurke«, sagte er, »wo ist Ihre Tochter?«
Der fette Mann blickte sich um, dann sah er zu der offenen Dachluke empor.
»Die Frage sollte ich Ihnen stellen«, schrie er. »Diebe! Spione und Diebe! Ich habe Sie erwischt, oder nicht? Sie sind in meiner Gewalt. Ich werde es Ihnen besorgen!« Er wandte sich und stürzte sich die Treppe hinunter, so schnell er konnte.
»Er holt den Hund!« rief Miss Hunter.
»Ich habe meinen Revolver« 47 , sagte ich.
»Schließen Sie besser die Haustür«, rief Holmes, und wir alle liefen zusammen die Treppe hinunter. Wir hatten kaum die Diele erreicht, als wir einen Hund bellen hörten und dann einen qualvollen Schrei, mit einem fürchterlichen, würgenden Unterton, der entsetzlich anzuhören war. Ein älterer Mann mit rotem Gesicht und zitternden Gliedmaßen stolperte aus einer Nebentür.
»Mein Gott!« rief er. »Jemand hat den Hund losgelassen. Er hat zwei Tage kein Futter bekommen. Schnell, schnell, oder es ist zu spät!«
Holmes und ich stürzten hinaus und um die Hausecke; Toller folgte uns eilig. Da sahen wir das riesige ausgehungerte Biest, die schwarze Schnauze in Rucastles Kehle vergraben, während der Mann sich auf dem Boden wand und schrie. Ich rannte zu ihnen und leerte meinen Revolver in den Kopf des Tieres, und es fiel auf die Seite, die weißen scharfen Zähne noch immer in den dicken Falten des Halses. Mit großer Mühe trennten wir die beiden und trugen den Mann ins Haus; er lebte noch, war aber entsetzlich zugerichtet. Wir legten ihn auf das Sofa im Salon, und nachdem ich Toller fortgeschickt hatte, um seiner Frau die Neuigkeiten zu erzählen, tat ich, was ich konnte, um Rucastles Schmerzen zu lindern. Wir standen alle um ihn her, als die Tür sich öffnete und eine große, hagere Frau den Raum betrat.
»Mrs. Toller!« rief Miss Hunter.
»Ja, Miss. Mr. Rucastle hat mich rausgelassen, als er zurückgekommen ist, bevor er zu Ihnen nach oben ging. Ah, Miss, ein Jammer, daß Sie mich nicht haben wissen lassen, was Sie vorhatten. Ich hätte Ihnen nämlich gesagt, daß Ihr Vorhaben sinnlos ist.«
»Ha!« rief Holmes; er sah sie scharf an. »Offenbar weiß Mrs. Toller über diese Sache mehr als alle anderen.«
»Ja, Sir, das stimmt, und ich will Ihnen gern alles sagen, was ich weiß.«
»Dann setzen Sie sich doch bitte und lassen Sie es uns
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