Die Abenteuer von Sherlock Holmes
lange wie möglich an meiner Verkleidung
festzuhalten. Ich zog ein schmutziges Gesicht vor. Da ich wußte, daß meine Frau schrecklich besorgt sein würde, nahm ich den Ring ab und vertraute ihn dem Laskar an, als mich kein Konstabler beobachtete, und kritzelte eilig ein paar Worte, die ihr sagen sollten, daß sie keine Angst zu haben brauchte."
"Die haben sie erst gestern erreicht", sagte Holmes.
"Mein Gott! Was für eine Woche muß sie verbracht haben!"
"Die Polizei hat den Laskar überwacht", sagte Inspektor Bradstreet.
"So erklärt es sich, daß es für ihn schwierig war, einen Brief unbemerkt abzuschicken. Wahrscheinlich hat er ihn einem Seemann unter seinen Kunden gegeben, der die Sache dann einige Tage lang vergaß."
"So war es zweifellos", sagte Holmes und nickte zustimmend. "Aber sind Sie denn nie wegen Bettelei verurteilt worden?"
"Oft. Aber was bedeutete für mich schon eine Geldstrafe?"
"Das muß aber nun ein Ende haben", sagte Bradstreet. "Wenn die Polizei die Sache vertuschen soll, dann darf es keinen Hugh Boone mehr geben."
"Das habe ich mir mit den heiligsten Eiden geschworen."
"In dem Falle, denke ich, werden wahrscheinlich keine weiteren Schritte unternommen, Aber wenn man Sie noch einmal erwischt, kommt alles heraus. Wir, Mr. Holmes, stecken sehr tief in Ihrer Schuld, weil Sie die Sache aufgeklärt haben. Ich wünsche, ich wüßte, wie Sie zu dem Ergebnis gekommen sind."
"Diesmal bin ich dazu gekommen", sagte mein Freund, "indem ich mich auf fünf Kissen gesetzt und eine Unze Shag verbraucht habe.
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Ich denke, Watson, wenn wir jetzt fahren, werden wir gerade, rechtzeitig zum Frühstück in der Baker Street sein."
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Der blaue Karfunkel
Am Morgen des zweiten Tages, nach Weihnachten suchte ich
meinen Freund Sherlock Holmes auf, um ihm die Festtagswünsche zu überbringen. Er rekelte sich in einem roten Morgenmantel faul auf dem Sofa, in Reichweite zur Rechten den Pfeifenständer und nahebei einen Stapel offensichtlich gerade gelesener, zerknitterter Morgenzeitungen. Neben dem Sofa stand ein hölzerner Stuhl, an dessen Lehne ein äußerst schäbiger, unansehnlicher Filzhut hing, der viel zu schlecht war, um noch getragen zu werden und verschiedene Risse aufwies. Auf dem Stuhlsitz lagen eine Lupe und eine Zange, und so wurde mir klar, daß der Hut zu Untersuchungszwecken dort hing.
"Sie sind beschäftigt", sagte ich, "vielleicht störe ich."
"Nicht im geringsten. Ich bin froh, jemanden zu haben, mit dem ich meine Resultate durchsprechen kann. Die Angelegenheit ist völlig unerheblich", - er wies mit dem Daumen, auf den alten Hut -, "aber es gibt einige Punkte, die des Interesses nicht entbehren, sogar lehrreich sind."
Ich setzte mich in einen Lehnsessel und wärmte mir die Hände am prasselnden Feuer, denn es hatte ein scharfer Frost eingesetzt und die Fenster waren mit dicken Eiskristallen bedeckt. "Ich nehme an", bemerkte ich, "dieses Ding da, so häßlich es aussieht, steht mit einer schrecklichen Geschichte in Verbindung - ist vielleicht der Schlüssel zu einem Geheimnis und zur Strafe für ein Verbrechen."
"Nein, nein. Kein Verbrechen", sagte Sherlock Holmes lachend.
"Lediglich einer jener absonderlichen kleinen Vorfälle, die geschehen, wo sich vier Millionen menschliche Wesen auf ein paar Quadratmeilen drängen. Inmitten der Aktionen und der Reaktionen eines so dichten Schwarms menschlicher Natur darf man das Auftreten jeder
Kombination von Ereignissen erwarten und manches kleine Problem ergibt sich, das überraschend oder wunderlich anmuten mag, aber nicht gleich ein Verbrechen sein muß. Wir haben auf dem Gebiet doch schon Erfahrungen gemacht."
"So viele", bemerkte ich, " daß von den letzten sechs Fällen, die ich meinen Aufzeichnungen hinzufügte, drei überhaupt nichts mit Verstößen gegen das Gesetz zu tun hatten."
"Genau. Sie spielen an auf meinen Versuch, die Fotografie der Irene Adler zu entdecken, auf den einmaligen Fall der Miss Mary
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Sutherland und auf das Abenteuer des Mannes mit dem schiefen Mund. Und diese unbedeutende Angelegenheit wird wohl derselben harmlosen Kategorie zuzurechnen sein. Kennen Sie Peterson, den Kommissar?"
"Ja."
"Ihm gehört die Trophäe."
"Es ist sein Hut?"
"Nein, nein, er hat ihn gefunden. Der Eigentümer ist unbekannt. Ich bitte doch, das Ding nicht als eine ramponierte Kopfbedeckung anzusehen, sondern als ein intellektuelles Problem. Zuerst einmal, wie kam es her. Es traf am Weihnachtsmorgen ein, in
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