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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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sirrte, jaulte, klirrte alles, und sprühte flüssiges eiskaltes Glas um ihn. Stark wie ein Elefant riß etwas an dem Hebel herum, den er festhielt. Sie wollten sich losreißen, nicht mehr ihn niederzwingen – warum, was geschah?

    Die Masse der Ungreifbaren schien ihm auf unbestimmbare Art lichter zu werden, Punkte und kleine Klammern schossen zwischen den aufeinanderprallenden und untereinander wegtauchenden Keramikanern herum. Da verstand der weiße Tiger, dessen Schädel dröhnte wie eine Glocke, auf die man mit Schrapnell schoß, daß das Käfer waren, Bienen, kleine Insekten, und daß sie ihm halfen, daß sie den Keramikanern zusetzten und daß die mit so etwas nicht gerechnet hatten.
    Ein Knacksen, ein Ruck, der ihn beinah in der Mitte durchtrennt hätte, dann ließ der Zug an dem Knochen- und Panzerbruchstück, das er zwischen den Zähnen hatte, mit einem Schlag nach: Es war abgerissen, er hatte es erbeutet und wollte lachen und sabberte zwischen dem Biß hindurch Speichel und Blut.
    Huan-Ti drehte sich auf den Rücken; das tat ärger weh als alles, was er je gelitten hatte.

    Über seiner Nase, am dunkler gewordenen Himmel, sah er jemanden auf- und abschwänzeln, tanzen und flattern, und brauchte ein Weilchen, bis ihm einfiel, wer das war: eine Berühmtheit, tatsächlich – diese Dame kannte jeder Diener des Löwen.

    Philomena blinkte und sprühte.
    Die um sie her sausten, Insekten alle, Zehntausende, die das Tal füllten wie eine lebendige Wolke, waren auf ihren Befehl hier, nahmen ihre Anweisungen entgegen. Als Philomena einsah, daß er sie nicht hören könnte, sandte sie dem Tiger ein dichtes Paket Pherinfone: »Deine Freunde – zwei sind noch am Leben. Den Esel können wir nicht retten, sie haben das Hirn gestohlen. Der Marder ist in kritischer Verfassung, er braucht Blut. Das Pferd hat ein Bein verloren, das wir leicht ersetzen können. Und du selbst – dich kriegen wir hin.«
    Mich kriegen sie hin, dachte Huan-Ti und hätte lachen mögen. Aber noch immer ließ er das Beutestück nicht los. Selbst als der weiße Tiger wenige Sekunden später ohnmächtig wurde, gelang es den Insekten, die ihn auf die Seite drehten, um ihn ärztlich zu versorgen, nicht, das Keramikanerglied aus seinem Beißkrampf zu befreien. »Laßt es drin«, sagte die Libelle. »Man muß auch gönnen können.«
6. Abschied im Dschungel
    »Schön, daß du hier bist«, sprach der Baum, »hab dich länger nicht mehr gesehen.«
    »Yeah. Wenn's nach mir ginge, wär ich weg. Gruß, Kuß, riech an meinem Reifengummi. Ist aber nicht. Hab noch Verpflichtungen.« Frau Späth trug jetzt lange Haare, Blüten waren hineingeflochten.
    »Du siehst hübsch aus«, lobte Lasaras Mutter.
    »Bftz. Ich seh, du hast dich auch neu geschmückt«, erwiderte Frau Späth, »eine kleine Quelle zwischen Wurzeln. Springt ja lustig. Und neue Ranken. Dir war langweilig ohne mich?«
    »Ich hatte noch andere Kontakte mit der Welt. Sogar mit der großen und weiten, wie man so sagt. Aber sie sind mir zu ... riskant geworden. Ich könnte entdeckt werden, von der ... Großgrundbesitzerin, in deren Schmutzeckchen ich lebe.«
    Frau Späth lehnte sich an den Stamm, massierte sich die Schläfen mit geschlossenen Augen. Dann sagte sie: »Weißt du, Borkinchen, ich ahne ja immer noch nicht, was ... deshalb bin ich auch ein Weilchen weggeblieben. Um meine Gedanken zu ordnen. Ich meine, was ist hier los? Wer bist du? Wieso, weshalb, wo's Pizza gibt, ist immer auch die Mafia.« Der Baum schwieg.
    »Könnte ja sein, du hast mir nichts als Dreck erzählt. Was, wenn das alles einfach eine Ergebenheitsprüfung ist? Wenn du zu Katahomenleandraleal gehörst, als baumförmige Handpuppe, die mir eine mehr oder weniger triftige Geschichte erzählen soll, um mir das Versprechen zu entlocken, mit ihr gegen die dicke Mutter zu konspirieren ...«
    »Die dicke Mutter«, stutzte der Baum.
    »Na, so nennt sie sich jetzt. Minus das ›dicke‹ natürlich. Mutter.«
    »Das ist auch einer von den Ehrentiteln, die weniger wert sind, als sie früher waren.«
    »Bist du eifersüchtig? Weil eine Maschine kann, was du auch kannst: Junge kriegen? Und sie hat sogar mehr Töchter als du. Dein Löwenkind ...«
    »Das ist es nicht. Verwandtschaftsrelationen sind nach der Befreiung ohnehin komplizierter als in den Epochen der authentisch sexuellen Fortpflanzung und des ... reinen sexuellen Dimorphismus. Da ich in mir jede Menge genetisches Material des Löwen aufbewahre, so wie alle andern aus der zweiten

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