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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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gesamte Atmosphäre verschwunden, dann treibt der Himmelskörper als seelenloser Ball aus Eis und Fels durchs Vakuum.
    So wie ich jetzt durch mein, wie sagt man? Leben?
    Wer will mich noch? Zu wem paß ich schon? Raphaela wird ihm sagen: Ich hab dir gleich davon abgeraten, das Monster wie eine Tochter zu behandeln.
    Und warum hat er mich überhaupt so lang behalten? Um meinem Wachstum zuzusehen (eine leise, etwas verbitterte Stimme, die redete, als sei sie das Buch des Lebens, aber mit kursivem Text, wisperte dazwischen: um deine Brüste beim Wachsen zu beobachten, deine Hüften dabei, wie sie sich verbreitern, und um dich, wie die abscheulichsten unter seinen Freunden über euch Echsenmädchen sagen, »einzureiten«, bis du ihm paßt), um mir Geleit zu geben, um mich zu erziehen, aber jetzt, da ich erwachsen bin, bin ich auch unerträglich.
    Raphaela hat's gesehen, die konnte mich gleich nicht leiden.
    Was will ich bei den Aristoi? Ihr liebstes Adjektiv ist »nobel«, meins »rot«, ich komme nun mal aus den Tälern, aus Rauch und Blut.

    Die Selbstvorwürfe halfen nicht. Ihr linkes Hüftbein tat ihr weh.
    Aus Liebe zu Eon hätte sie gern die Tatsache der harten Trennung geleugnet, wenn nicht der Schmerz sie jede Minute unwiderlegbarer gemacht hätte. Mit einem tiefen Seufzer gab sie also zu, daß es war, wie es war, ließ eine Träne fallen und machte ihrer Beklemmung durch eine wohlgesetzte Klage Luft: »Auch Eon ist einfach ... wie die andern Aristoi, die mich am Anfang umworben haben, gekitzelt, gestreichelt, beschenkt, sich mit mir geschmückt auf den Festen, wo ich herumgereicht wurde wie ein seltener Stoff aus einer der nördlichen Burgen. Auch Eon beweist mir nur, daß die in den Gräben recht hatten, die alle Aristoi treulos, unbeständig, oberflächlich nannten? So empfindlich muß ich überführt werden, daß ich in einer blinden Bezauberung befangen war, als ich diese verkleideten Ungeheuer großzügig fand? Oh Eon! Warum reißt du mir die lidlosen Augen noch weiter auf? Nein, es ist nicht möglich. Du warst es nicht, ich habe geträumt. Breite deine Arme aus, wie ich meine Flügel! Ich komme zu dir zurück!« Sie wollte in der Begeisterung, die gedrechselten Worte im hohen Ton der Aristoi noch auf den Lippen, abrupt aufstehen, um sich »an seinen Busen« zu werfen, aber sie konnte sich nicht vom Brunnenrand erheben – die gelähmte Hüfte zog sie wieder zurück, daß sie vor Schmerz laut schrie.

    Zur Vergrößerung ihres Kummers mußte der ungetreue Eon ihr gleich gegenüber, eine andere Silhouette halb verdeckend, wohl vor ihrer Nebenbuhlerin – vielleicht ja schon Raphaela? War sie übers Dach gekommen, mit einem Chopper? –, am Fenster stehn und mit der ausgelassensten Fröhlichkeit über die Echse spotten; wenigstens gab sie seinem Lachen diesen Sinn. Ja, er war es, sagte sie endlich leise zu sich, er war es, der Herzhund, die Nashornkuh! Er hat mir meine Hüfte zerbrochen, er hat geschafft, was die Kämpfe nicht fertigbrachten: mich zum Krüppel gemacht. In diesem Ton fuhr sie noch lange Zeit fort und unterbrach das nur, um einen Schluck Wasser zu trinken, sich etwas davon auf die Haut zu reiben.
    Ein Mann und ein zylindrischer Roboter kamen jetzt auf sie zu – zwei Gestalten, die sie schon von weitem haßte, weil das Mannsgesicht eine so fröhliche Miene trug, als wenn die Glücksgöttin seine leibliche Schwester wäre. Schließlich erkannte sie ihn: der Clown, die Puppe, Sankt Oswald, ab und zu Gast bei Eons Gelagen. Er grüßte sie freundlich, da war ihr, als bliebe die Zeit stehen, oder hängen, als etwas – das Buch des Lebens? – ihr eine merkwürdige Gedankenkette eingab: Pluto bist du? Ein Planet mit seltsamer Umlaufbahn, eisig und dem Rest des Sonnensystems für immer entrückt? Was ist dann er, der nicht zu den Aristoi gehört und sich doch unter ihnen bewegt – könnte er Charon sein, dein Begleiter?
    Sie lächelte, das erste Mal seit Wochen, daß sie dazu Anlaß fand.
    »Hast du schon gefrühstückt?« fragte die Puppe im Näherkommen, glänzend aufgelegt – er hat neue Arme und Beine, dachte Padmasambhava, wo kriegt er die immer her?
2. Die Kunst der Rattendressur
    »Ah«, machte sie, »oh« und »ihgitt«, als er ihr seine schlimmsten Schätze zeigte, »ganz schön rot.«
    Er hatte inzwischen gelernt, das Adjektiv für sich zu übersetzen. Die Hausgemeinschaft raufte sich mit jedem Tag besser zusammen; so wußte Sankt Oswald, daß der Satz ein Kompliment war, für die

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