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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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mit anderen Tieren einst Entfernungsexperimente angestellt – man nahm eins aus seinem Territorium in freier Wildbahn, und bald rückte ein anderes nach, verteidigte das Gebiet wie gehabt, die Grenzen blieben, die Regentschaft wechselte, es sei denn, man täuschte die kontinuierliche Präsenz des alten (rechtmäßigen? Royalismus, Loyalismus, Leonismus ...) Gebietsherrn mittels playbacks vor, Geräuschen, visuellen und olfaktorischen Attrappen; etwas ganz ähnliches, aber schwerer Benennbares war hier passiert, deshalb verschonte der steigende Terror, die zunehmende Gewalt und Verzweiflung im Weißen Tiger jetzt den Platz: Das Rechtmäßige war noch da, aber es war nicht irgendein Bewohner und Verteidiger des Platzes, was die Scheu wachrief, sondern dieser selbst , wirksam wie ein böses Wort aus dem Mund der Ewigkeit.
    Wo bist du? Es muß dich zu mir ziehen, auch wenn du nichts lieber als einschlafen möchtest, an der zarten Freundin Brust, die schon tief schläft. Setz nur einen Fuß vor den andern, finde mich, daß ich dich nicht mehr suchen muß.
7. Um wenigstens einen zu nennen
    Als der Akademiker dritter Klasse Norferd seinen unmittelbaren Untergebenen Preisnitel und dessen zwei Leibwächter im Verhörzimmer III des kriminologischen Forschungszentrums und Gefängnisses im Ostflügel der Akademie fand, war er nicht bloß bestürzt, sondern fing pragmatischerweise auch augenblicklich an, über eine Flucht aus der Stadt nachzudenken, vielleicht durch die Abwasserkanäle. Der Akademiker gehörte zu den wenigen Personen im Weißen Tiger, die beim Auftauchen des Affen und der danach von den Eliten her – über deren Chauffeure, Kindermädchen und dergleichen – in die Bevölkerung sickernden Gerüchte betreffend die Gefahr eines Atomschlags seitens der anderen Städte nicht den Kopf verloren hatten.
    Norferd gab sich in brenzligen Situationen stets Mühe, den Kopf nicht zu verlieren, denn er mochte ihn sehr, weil er wußte, daß es ein überaus gut funktionierender Kopf war.
    Als die ersten nicht mit Dringendem befaßten Leute sich entschuldigten und »nur eben rasch weg« mußten, als die Streitereien an den Konsolen der wachhabenden Techniker lauter, die Temperamente unbeherrschter wurden, hatte sich Norferd zunächst in seinen Arbeitsplatz geduckt wie die Schildkröte in ihren Panzer und sich ein bißchen in den rudimentären elektronischen Netzen umgetan, die auf dieser kargen Welt das immer angeregte Umeinanderflattern der Nachrichten und Schönheiten des Pherinfongewebes aus alter Zeit ersetzen sollten. Alles, das merkte Norferd, noch bevor es anderswo Fiametta aufging, konvergierte auf Territorialinstinkte zu, und daraus, dachte er jetzt, folgten Beißereien. Er setzte sich auf den Stuhl, auf dem Feuer sich vor wenigen Stunden hatte verhören lassen müssen. Die edelgasgefüllten Röhren oben flackerten; noch nicht so zwar, als wollten sie demnächst verlöschen, mit der Energiezufuhr aber war ersichtlich nichts mehr in Ordnung.
    Territorialität: Norferd wußte es nicht, aber sein gut funktionierendes, bestens ausgebildetes Hirn war gerade mit Anschlüssen an Mustern sehr weit ausgelastet, die Padmasambhava und Feuer ebenfalls bedachten; Mustern, die überhaupt in dieser längsten, schlimmsten Nacht in der Geschichte der Stadt von vielen gedacht wurden – es hätte ihn aber, Wissenschaftler, der er war, wenn er es gewußt hätte, nicht dazu verführt, sich esoterischen Kurzschlüssen über die Verbundenheit aller Seelen hinzugeben.

    Der Zusammenklang war freilich gar kein Spuk, sondern hatte Gründe, die man dem Wissenschaftler durchaus hätte verständlich machen können: Das Ganze kam von der Rekonfiguration des lokalen Ereignismusters im höherdimensionalen Raum, den die Stadt einnahm – einer Rekonfiguration, die auf die elektrischen und elektrochemischen Vorgänge in organischen vierdimensionalen Hirnen Feldeffekte ausübte, die gewisse Gedanken allen nahelegten, die überhaupt denken konnten. Norferd wäre, hätte man ihm Zeit dazu gelassen, vielleicht selbst dahintergekommen. Jetzt fiel ihm aber etwas ein, das er aus den Archiven wußte: Gegen Ende der Langeweile waren auf der Erde Menschen in Erscheinung getreten, die für die Gegend, in der viel später Comtesse Alexandra wohnen sollte, ein sogenanntes pleistocene rewilding forderten. Rewilding war seinerzeit eine Mode im Umweltdesign, das heißt der frühen Ökotekturgestaltung gewesen – diverse Spezies, die in den voraufgegangenen

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