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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Jahrhunderten aus bestimmten Gegenden vertrieben oder dort nahezu ausgerottet worden waren, wurden in den betreffenden Gegenden mit kundiger zoologischer Begleitung durch die Menschen wieder angesiedelt (»Liebe Bolson-Schildkröte, herzlich willkommen zurück in New Mexico«). Das pleistocene rewilding sollte einen Schritt weitergehen: Die Absicht war, Nachfahren von seit dem Pleistozän in diesem Landstrich nicht mehr aufgetretenen Sorten Megafauna in speziell zu diesem Zweck ausgesuchte Naturschutzgebiete einzuschleusen. Die betroffenen Ökologien, wußte Norferd, hatten das nicht gut vertragen: Neue Parasiten und Seuchen waren aufgetreten, die Umzäunung und sonstige Einhegung verschlang astronomische Mittel, und die menschliche Bevölkerung mußte mit Folgen zurechtkommen, die sich negativ auf das Ansehen überhaupt aller ökologisch planenden Organisationen und Individuen jener Zeit auswirkten. Das einzige tatsächlich Fortschrittsfähige, das dabei herauskam, war eine kleine Gruppe von Löwen gewesen, die schließlich einem noch viel ehrgeizigeren Experiment Substrate lieferte als dem pleistocene rewilding : der Erschaffung der Gente durch einen Menschen. Dieser nämlich fand im Alphatier jener Löwengruppe seine neue kognitive Wohnung und machte aus sich einen König.
    Den Menschen wiedererschaffen, hier auf der Venus: War der Plan, der zur Gründung der Neuen Drei Städte geführt hatte, am Ende genauso wahnsinnig gewesen wie das lächerliche pleistocene rewilding ? Ein übler Witz, dachte der Akademiker und strich sich mit der zitternden Hand übers wacklige Kinn: Wir wollten reproduzieren, was es während der Langeweile gab, und das haben wir geschafft – wir sind, alles in allem, eine Spezies geworden, die auf zwei Beinen geht und sich selbst ärger bedroht, als irgendwer sonst könnte.

    An der Längsseite des Verhörraumrechtecks befand sich eine grobe Konsole. Norferd stand auf, setzte sich dran, rief die Netzverbindung auf. In den meisten lokalen Foren wurde nichts mehr geredet. Die Leute hatten, ein sehr schlechtes Zeichen, anderes zu tun – nur die Selbstläufer, von Computern bespielt, hielten Schritt, darunter, Moment, er suchte ein bißchen, gleich hatte er's: die meteorologischen Beobachtungskameras. Aha: Das war der Hinweis, der noch gefehlt hatte.
    Die Siebenvierer.
    Sie sammelten sich, höher als sie sonst flogen, über der Stadt, an der Grenze zum Leeraum. Dutzende. Hunderte. Sie wollten zusehen, wie die Stadt verglühte, es im Gedächtnis bewahren. Norferd nickte: Hier kann man dann wohl nichts mehr machen. Ein paar Dinge, dachte er wehmütig, hätte er im Grunde gerne noch gewußt: wie alles angefangen hatte, zum Beispiel, das Leben.
    Waren die Replikatoren zuerst dagewesen oder der Metabolismus? Hatte die Evolution eine Richtung? Man müßte das empirisch austesten, irgendein experimentum erfinden, eine große Arena bereitstellen. Er erhob sich, um nach einem Süßigkeitenautomaten zu suchen.
8. Gefunden
    Padmasambhava sah sie die Treppe hochkommen, verwirrt, verklärt, glücklich und neugierig auf ihn, kurz bevor die Bomben fielen. Er dachte an das Wort Sankt Oswalds, der es aus der Langeweile hatte, daß »wir Musik mit den Muskeln hören«. Er sah ihr Aufihnzukommen, und seine Nerven sangen.
    Sehr viel Arbeit war geleistet worden, damit es den Ort gab, wo diese beiden sich trafen.
    Auch sie selbst waren fleißig gewesen – in wenigen Stunden hatten sie wahr gemacht, was nur idealistischer Unsinn gewesen war, als die Denker der Menschen und der Gente es hatten glauben wollen, nämlich, daß Denken Sein umgestalten konnte, ohne den Zwischenschritt des Handelns. Ihre Gehirne waren so gefaltet, daß sie nicht bloß in vier Dimensionen wirkten, sondern in anderen, und schneller als Licht. Deshalb warfen bestimmte Ideen, die sie sich erlaubten, Schatten in die darunterliegende Wirklichkeit, färbten den Stand der Dinge neu, verbanden Bilder und Zeiten oder trennten sie.
    Faltungen, Lockerungen und eine Bewegung im Innenohr, eine räumliche, zeitliche Orientierungsweise, die Musik hieß, so daß Feuer, Fiamettina, jetzt den Tanz, den Padmasambhava in den letzten Minuten begonnen hatte, barfuß fortsetzen konnte, im Schmutz, in der Asche, während er ruhig dastand, auf sie wartete und sie mit einer alten Geste begrüßte, der erhobenen rechten Hand.

    Hinter Absperrungen, die niemand sehen konnte, starben Affen oder wurden zu Insekten, brachten Minderlinge einander um, so gut sie konnten,

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