Die Abschaffung der Arten
»Da machst du sie drauf, deine Fingerabdrücke, das patschst du gern ab, aber auf meine Anrufe reagierst du nicht, Blödwolf.«
»Welche Anrufe?« Er überprüfte blinzelnd seine Handflächen.
Da waren tatsächlich zwei Nachrichten eingetroffen; nicht nur ihr Auto, auch der Pherinfonkontakt war offenbar verzögert worden. Liebe Nichtigkeiten: Die Sendungen hatten keinen anderen erkennbaren Zweck als den, ihn zum Antworten zu reizen. Sie war sich also nicht sicher gewesen, ob er wirklich am Treffpunkt auf sie wartete.
Das gefiel ihm.
Er verhaspelte sich: »Wa ... Wollen wir was, was essen gehen oder hm zum, in die Stadt? Dann bringen öhm wir am besten schnell deine Sachen hoch.« Er fragte sich, ob das zu plump war – vielleicht wollte sie gar nicht auf sein Zimmer? Wo wohnte sie eigentlich? Eine Wohnung hatte sie in Borbruck wohl nicht, sonst wären sie einander kaum im Hotel begegnet, damals. Obwohl, vielleicht inzwischen doch?
Er betrachtete ihre Schultern, die Birnenbrüstchen unterm weißen Herrenunterhemd, das schnelle sexy Atmen.
Sie lachte, er dachte: Ich weiß es, ich riech es, sie wohnt überhaupt nicht in den drei Städten, sondern im Süden, bei den Kriechtieren, bei den pumpenden Körpern.
Er sagte »Hier entlang, Fiametta«, das war ein neuer Name, mit dem sie seit ein paar Wochen flämmchengleich ihre Botschaften zu signieren pflegte und der ihr besser gefiel als »Lynxchen«.
Auf der Treppe nahm sie einen tiefen Schluck aus ihrer Wasserflasche. Er betrachtete die Flecken an ihrem Hals, unter ihren Ohren. Die bewegten sich, als horchten sie nach Beute, in raschelndem Laub.
Er ließ seinen Blick an der Tür vom Sicherheitssystem erkennen. Sie traten ein.
Er fragte: »Willst du ... was magst du ablegen? Laß das doch hier.«
Clea Dora, Lynxchen Fiametta, sagte: »Ich geh heut nacht nicht wieder in meine ... hiesige Wohnung, falls du das wissen willst.«
Er nahm ihr die Tasche ab, wog sie, hielt sie hoch, vor ihren Augen: Das ist schwer, da hast du wohl Waschzeug drin, sagte sein Gesichtsausdruck.
»Meine Beischlaftasche, für die Wasserflasche«, lächelte die Luchsin.
Sie küßten sich und kratzen einander mit Krallen an Beinahmenschenfingern.
Süden, dachte er, aber es gab keine feierliche Entkleidung, mehr ein Geraschel, heißes Zerren, griffige Dringlichkeit. Nein, halt, doch, ja, bitte, andererseits.
Man wollte ja noch essen gehen. Überhaupt, wir wollen uns zeigen, erst hier auf dem Balkon unterm Schwan und unterm großen Bären, dann in der Öffentlichkeit. Wir wollen archaische Rituale umeinander legen, Bande der Freundschaft. Als sie das Keuchen geübt hatten, wurde es musikalischer und verständiger, ein Rhythmus der Einmütigkeit. Er ist, dachte die Luchsin, schön fremd bekannt und wirft sich mir ganz um den Leib als mein neuester Umhang, daß ich fast glauben könnte, er wäre zwei Wölfe, oder drei, viel mehr. Sie spürte ihn flüstern, hörte ihn streicheln und lachte.
Er hatte sich nie so gut gefühlt, seit er vom Rudel fortgegangen war: Ich bin hier bei ihr, Werwolf, Wermensch – wer bin ich, und was mach ich wem?
Sie hatte eine Tätowierung am linken Arm, auf einer ausrasierten Stelle, ein tanzendes Muster, das auch leise Töne enthielt, sommerlich verschlüsselt. Er hörte sie sirren und tropfen, wenn er dort entlang leckte.
»Das hab ich zur bestandenen Doktorprüfung machen lassen«, sagte die Geliebte, »als Erfolgsbeglaubigung.«
»Mein Schatz. So ehrgeizig!« sagte er.
Sie gingen zusammen durch verlassene Markthallen; er kannte den Weg zu den Nischen für gutes Essen, die sich wie Muscheln an der inneren Stadtmauer festgesaugt hatten.
»In alten Zeiten, bei den Menschen, war's viel schwieriger, in den Gelehrtenstand einzutreten«, dozierte Lynxchen absichtlich naseweis. »Damals mußte man um Ideen und Funde richtig kämpfen. Eine Doktorarbeit, das war immer eine Polemik.«
»Magst du sprachlose Hasen essen? Oder Spitzmäuse?«
Sie mußten sich entscheiden, hier gabelten sich die Wege nach den verschiedenen Gasthäusern.
»Ich esse ja eigentlich überhaupt nicht gern.«
»Bist du 'ne Phototante, wie die Dachse? Lebst von Licht, von Luft und Mineralsalzen aus der Krume?«
»Nein, hör mal: Es ist mir einfach unangenehm, wenn was sterben muß, damit ich meinen Stoffwechsel auf Touren bringe. Mein Vater war ... ist da anders.« Sie hatte noch nie von ihrer Herkunft gesprochen. Er stellte seine Ohren auf. »Der hat sogar für uns geschlachtet; auch
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