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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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viele Gäste gab: In dieser Stadt findest du heute wenig, was Fremde anzieht, also wer bist du, was willst du? Er überlegte, ob er Clea Dora, wenn sie schon nichts von sich hören und lesen ließ, vielleicht selber ein Billettchen senden sollte, das sie seines mit jeder Minute heftigeren Interesses versicherte.

    Sie hatten einander in den vergangenen Monaten einen ganzen Mückenschwarm solcher Nachrichten geschickt.
    Ihre vorletzte Nachricht, unterlegt von frivolsten Synaesthetica : »Was treibst du, überall in der Welt? Ryuneke überbieten?«
    Er hatte geantwortet: »Ich bleibe erreichbar für dich, im Garten der Fruchtfliege.«
    Er war selbst überrascht von dem Getändel; die lyrische Anspielung auf die verborgene Natur ihrer Verbindung wäre ihm früher nicht eingefallen. Über solche Indirektheit, in Entfernung, über Botenstofftausch, nahm paradoxerweise die Nähe immer weiter zu. Gut, die Indirektheit war ja eigentlich auch keine, viel eher ein Explizitmachen des Impliziten: Sowenig die Menschen mutmaßlich je damals an Turing oder Shannon gedacht hatten, beim Schreiben ihrer E-Mails, sowenig fielen den Gente für gewöhnlich die Grundlagen ihrer chemischen Kommunikationstechnik noch ein, wenn sie die Moleküle flüstern, kitzeln, flirten ließen – das Geheimnis im Garten der Fruchtfliege, die paarungsleitende Pheromondusche von drosophila melanogaster , mit deren systematischer Auswertung erst durch Ethologen, dann durch mit Chromatographen gerüstete Molekularbiologen des homo sapiens der zunächst analytische, dann konstruktiv-synthetische Weg zum heutigen biotischen Miteinanderreden via fernsten Hauch vor fünfeinhalb Jahrhunderten begonnen hatte.

    Cleas Erwiderung auf sein Gartengedicht, ihre bislang letzte Meldung: »Wart nur, wenn ich gleich zu dir komm!«
    Sie war aber nicht gleich zu ihm gekommen.
    Sie ließ ihn warten.
    Als er daran dachte, fiel ihm wieder auf, daß sie eigentlich nicht mehr voneinander wußten, als daß beide viel reisten, über Bildung und Manieren und einen Hang zur Überschreitung dieser beiden verfügten und sich nicht allzubald beieinander langweilen würden – wenn denn wirklich alles gerade so innig wurde, wie er sich's wünschte.
    Er trat in die Abendkühle, auf die schummrige Gasse. Neon grüßte, dumm und hübsch.
    Oben die Sterne, in ihren Anordnungen, die wir von den Menschen geerbt hatten: Schwan, kleiner Bär, recht so, treue Wachen, die waren ja längst vor den Menschen da. Halt: Stimmt das? Die Anordnungen, gab es die seit je?
    Vor seiner Reise zur Küste, zum Wall aus Gebeinen, hatte Dmitri Stepanowitsch Sebassus seine Augen scharf genug stellen können, um links oben, schwanwärts, den Nordamerika-Nebel zu erkennen. Diese Augenverbesserung hatte er die Rauhhautfledermäuse im Präferenzgebirge dann rausnehmen lassen. Er fand: Man muß nicht alles sehen, was man verstehen kann (aber alles verstehen, was man sehen kann – Freiheit den gefesselten Fähigkeiten).
    Die Luft war lieblich, lau, etwas salzig (Meerwasser? Ob der Torus drüben unterm Benzolring wohl leck war?).

    Da bist du, Luchsrose!
    Er sah sie im Taxi sitzen, das ganz langsam vorfuhr. Ein Reh lenkte den Wagen. Der Wolf ertappte sich bei schrecklichen Gedanken: Was, wenn Clea ihre weißen Zähne in den Fahrernacken schlägt? Fast meinte er die Bißwunden am Hals schon zu erkennen und schnupperte, als ob das süße Blut zu riechen wäre.
    Die Schönste kauerte in einer Haltung, die bei Jägern schon seit der Langeweile Ansitz hieß, hielt Ausschau, sah ihn draußen stehen, lächelte. Wie kam er auf die Grausamkeit? Vielleicht war das ihr naher Atem.
    Die Aufregung, die verhaltene Gier.
    Dann suchte sie in ihrem Zeug, neben dem Sitz, nach Geld oder ähnlichem – sie, na, wie hieß das, drückte sich, das war ein Jagdausdruck fürs Ducken. Ein schöner Vorwand, so ein Taxi, für diese exquisite Verspätung. Zuviel Ironie, dem Wolf war schwindlig.

    Lynxchen stieg aus und strauchelte reizend. Ihre Tasche fiel zu Boden, auf den pockennarbigen Asphalt der alten Straße. Das Auto hinter ihr fuhr an mit einem Satz, als wollte es entkommen. Kein Leder, sah Dmitri, dieser Beutel da, den sie verloren hatte, sondern ein Jutesack. Eine Plastikflasche rollte raus, Dmitri vor die Hufe (er lebte seine Satyrphase). Der Wolf bückte sich, fing die Flasche ab, bevor sie in den Rinnstein rollen konnte. Er überreichte sie Clea, als wäre das ein Rosenstrauß. »Galanter Kuder!« lachte Lynxchen, nieste und sagte:

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