Die Abschaffung der Arten
Abendessen setzte sie ihm vorsichtig eine Spritze ins Genick, mit, wie sie sagte, »umfangreichen Dateien, die ich ihm gern überlassen will. Er wird sich damit auskennen.«
»Ich dachte, du wolltest ihm nicht helfen.«
»Ich helfe ihm gar nicht, ich investiere nur in meinen Nachruhm. Sollte ich bei den Verwüstungen, die uns erwarten, mein Leben lassen, so weiß ich wenigstens, daß meine Ergebnisse von dem alten Wichtigtuer mit Zähnen und Klauen verteidigt werden. Selbst die, mit denen er nicht froh wird. Er glaubt an militärische Nutzanwendungen, ob's die nun gibt oder nicht. Das reicht mir. Eine Versicherung meiner Arbeit aufs Künftige.«
»Red nicht so morbide, Liebste.«
»Nenn mich nicht Liebste, Liebster. Das rührt mich zu schlimm.«
8. Leb wohl
Sie hatte ihre Vorkehrungen getroffen, daß er sich später nicht zu genau daran erinnern würde. Die letzte Nacht der beiden war ein traurig schönes Ringen zweier Engel im stummen Grund.
Sie redeten dazwischen über Dinge, über die man in Wahrheit nicht reden kann. Er sehnte sich den ganzen Abend danach, einfach ihre Hand zu nehmen und zu verstehen, was mit ihnen beiden geschah. Es wurde spät und später, dann früh, der Mond stieg auf und sank dann wieder.
Sie sagte: »Du Süßer, in so einem schlimmen Zustand und noch so weit zu gehen. Und ich weiß, du kannst nicht sagen, was du denkst, aber das ist schon gut. Die Worte helfen dir nicht, sie lassen dich im Stich. Und ich muß das jetzt leider auch tun.«
Vielleicht, überlegte Dmitri, stimmt es gar nicht, was man uns beigebracht hat.
Vielleicht haben wir gar keine Sprache, weil es Sprache überhaupt nicht gibt.
Als Dmitri Stepanowitsch am Morgen erwachte, war er allein.
Es wurde Zeit für den Aufbruch.
Sein Lager roch neutral, er dachte: Ich bin also wieder mein eigner Herr und hätte doch gern diese Herrin gehabt. Freiheit, wiedergewonnen: Das muß mir nicht gefallen, aber wahr ist es.
Seine Träume waren bizarr gewesen. Nesselröhrenschildläuse hatten sich nachts in seinem Pelz festgesetzt und ihm die jüngsten Nachrichten aus der Heimat eingeflößt.
Es gab neue Ergebnisse der Fische im Wassertorus von Borbruck, die trotz des stetig abnehmenden öffentlichen Interesses an ihrer Arbeit seit dem Mord am Zander unentwegt weiterforschten, für wen oder was auch immer. Diesmal gaben sie Empfehlungen zur Geschlechterfrage ab: »Jeder Mann muß mindestens eine Frau und einen Mann haben, und jede Frau mindestens eine Frau und einen Mann, so daß die kleinste vernünftige sexuelle Gemeinschaft aus vier Individuen besteht.«
Was für eine Verschwendung, dachte der Wolf: Wie viele der Läuse waren gestorben, um Dmitri diesen Blödsinn zu übermitteln?
Was ist das überhaupt für ein Lager, wie bin ich letzte Nacht hierhergekommen? Hat sie sich verabschiedet, war das der Ausklang des Nachtmahls? Er erinnerte sich nicht.
Dmitri Stepanowitsch Sebassus setzte sich auf, sein Kreuz war starr und seine Schädelknochen taten weh, besonders um die Augen und an den Schläfen.
Er horchte in sich hinein und stellte fest: Die Schwänin war weg, er mußte sie aber noch loswerden, um überhaupt wieder leben zu können.
Schon der Gedanke an sie erregte in ihm eine Art trauernder Abwehr. Er zweifelte nicht daran, daß diese neue Empfindung ihr Abschiedsgeschenk darstellte, sie mußte es ihm irgendwann verabreicht haben, vielleicht mit Speichel, oder sogar im Spritzen-Cache für den Löwen. Genauso sicher, und das fand er tröstlich, war sich Dmitri, daß seine Liebe zu ihr nicht das Ergebnis einer ähnlichen Manipulation gewesen war. Ihn wegzustoßen, das paßte zu ihr, ihn einzufangen aber hätte ihrem Wesen widersprochen.
Er würde nie aufhören, sie zu lieben, das mußte genügen.
Der Wolf rieb sich die Wangen mit neuen Händen, trank aus einem Schälchen.
Da hörte er ein leises Pfeifen.
Als er aufblickte, schwebte vor dem zersprungenen Fenster der Dachkammer, die sein Quartier war, ein absurd breites Gesicht. Es war ein Walhai, zwölf Meter lang, grüngrau, mit weißen Punkten. Der Wolf schüttelte den Kopf, als wollte er seine Ohren loswerden, streckte sich, sträubte sich die Spuren der Nacht aus dem Fell. Der fliegende Riese machte ein fragendes Geräusch, anderthalb Oktaven zu tief eigentlich, aber dennoch leicht zu deuten. Der Wolf sagte: »Wo ist sie? Hat sie dich gerufen? Ich weiß nicht mal, ob wir uns verabschiedet haben.« Dmitri rechnete mit keiner Antwort; aber der Ätherschwimmer sagte:
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