Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
Vom Netzwerk:
»Ich glaube, das kannst du vergessen. Sie ist schon aufgebrochen, nach Süden. Der Armee der Verwüster entgegen. Die ziehen durch die Gegend, als ob sie ihnen schon gehört. Keramikaner.« Er schnaufte zornig und übermittelte dem Sehzentrum in Dmitris Hirn per Sprühspeichel ein furchtbares Bild: Horden, nicht ordentliche Formationen. Brennende Matten, fliehende Gente, sprachlose Tiere in Panik.

    »Ich bring dich zum Meer«, sagte der Walhai.
    Seine Augen waren klein, aber sie sahen schlau aus. Sein Maul hatte einen gemütvollen, leidenden Zug, als höre er den ganzen Tag impressionistische Klaviermusik, in Moll.
    »Bah, nee, nicht die Schwimmerei schon wieder«, sagte Dmitri angewidert.
    »I wo, das ist nicht nötig, das war nur die Herreise. Du solltest dir ja das Buckyprojekt der Atlantiker anschauen. Diesmal wirst du mit dem Schiffchen fahren. Dem Eisschiff, unter Käpt'n Patel.« Sein Tonfall verriet, daß das etwas war, worauf der Wolf sich freuen sollte.
    »Von mir aus. Brechen wir auf. Hier gibt's nichts mehr.«
9. Allmähliche Verdunkelung
    Dmitri Stepanowitsch ging hinter dem Walhai her wie die Israeliten hinter Wolke und Feuersäule, drei Tage lang, landauswärts.
    Sie durchquerten neue Steppen, die vor Monaten nicht hiergewesen waren, und sahen ein Rudel ausgemergelter und schmutziger Erdhörnchen vorbeistreichen: Flüchtlinge.
    »Die Gegend verkommt schnell«, bemerkte Dmitri. »Wahrscheinlich werden alle, die sprechen können, den Schutz des Löwen suchen. Viele werden übers Meer reisen und ihn bitten, daß er sie in seine Zivilisation aufnimmt, die jetzt ein stehendes Heer wird.«
    Der Walhai erwiderte aus seinen Höhen mit voller Baßstimme: »Da bereitet' er sich zu neuen gewaltigen Lügen / ›Könnt' ich des Königes Huld und seiner Gemahlin‹, so dacht er, / ›Wieder gewinnen, und könnte zugleich die List mir gelingen, / daß ich die Feinde, die mich dem Tod entgegengeführt / Selbst verdürbe, das rettete mich aus allen Gefahren. / Sicher wäre mir das ein unerwarteter Vorteil! / Aber ich sehe es schon, Lügen bedarf es und über die Maßen.‹«
    Dmitri witterte politische Unzuverlässigkeit bei dem lebenden Luftschiff und lachte.
    Der Bursche hatte immerhin Charakter.

    »Wir kennen uns lange, du und ich«, sagte der Walhai, »nur hast du mich nie in diesem Leib angetroffen. Der ist neu, ein Geschenk der Atlantiker. Ich war früher, sagen wir ... viel grüner.«
    Dmitri lachte verblüfft; er hätte es längst erkennen müssen, die Art zu reden, der Humor verrieten es: »Georgescu?«
    »Eine Kopie, um genau zu sein – der Fachbegriff lautet jetzt ›Setzling‹. Du hast ein paar technische Entwicklungen von großer Tragweite verpaßt.«
    Das war nicht ganz wahr: Dmitri hatte vor seiner Abreise durchaus noch davon gehört, es hatte mit den Arbeiten tun, die Izquierda beaufsichtigte: »Öhm, Setzlinge, das ist ... das sind maschinell eingelesene Persönlichkeitsabbildungen – programmierte Gente, nicht?«
    Der Walhai brummte bestätigend.
    Dmitri riß eine Wurzel aus dem kargen Boden, saugte ein bißchen Kraft, spuckte aus und fragte: »Aber sollte das nicht eher eine Art Sicherung sein, eine Option der ... Inneren Emigration in die ... felsengeschützten Großrechner? Für einen Introdus? Wieso läßt man solche ... Setzlinge auf einem lebenden ... schwebenden ... Schwimmhirn ...«
    »Ein Experiment, mehr oder weniger. Ausschließlich auf Freiwilligenbasis. Die Vorschriften sind viel laxer geworden, Cyrus Golden läßt alles zu, was neue Wege geht. Er ist wirklich in Sorge. Ich bin einer von bis jetzt drei Setzlingen, die man in ein synthetisches Lebewesen eingebettet hat. Und wenn du meinen Kopf aufspalten könntest und dir das Ding betrachten, mit dem ich ... denke und ... ich bin, würdest du schnell wissen, daß das kein Hirn ist, in dem alten Sinn, den du erkennen könntest.«
    »Ein biotischer Rechner aber doch.«
    »Kleiner als ein Hirn, vor allem. Der ganze redundante Kram ist in andere Welten verschoben.«
    »In andere Wel ... ah, ein Quantencomputer.«
    »Wenn man archaische Ausdrücke liebt.«
    Die Comtesse hätte gesagt, daß sie das tut, dachte der Wolf.
10. Akku
    Dmitri pißte, müde und niedergeschlagen, an ein verrostetes Autoskelett.
    Er dachte an die Comtesse und daran, daß das, was sie für Souveränität hielt, für Stoizismus gar und Würde, einfach ihr verdeckter Selbsthaß war. Sie macht sich häßlich klein, sie will nicht mehr eingreifen in Geschicke, die auch

Weitere Kostenlose Bücher