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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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abgesehen sind es nur Namen.«
    Abends wurde ausführlich im Radio berichtet. Der BBC World Service widmete Trofims Brief einen Großteil der wichtigsten Nachrichtensendung. Radio Free Europe brachte einen einstündigen »Schwerpunkt Rumänien« mit den Biographien der Briefschreiber und Kommentaren von Ostblockexperten. Voice of America strahlte um zwanzig Uhr eine Sondersendung über Ceaușescus Rumänien aus. Den Coup landete jedoch Radio Moskau: ein Interview auf Russisch, das Trofim drei Tage vor Veröffentlichung des Briefes gegeben hatte und in dem er seine Kritik an Ceaușescu wiederholte und sich als loyalen, aber liberalen Kommunisten präsentierte. Das war der bislang eindeutigste Hinweis darauf, dass er Moskaus Rückendeckung hatte.
    »Verdammt. Ich sage euch, was hier los ist …« Leo sprang von einem Sender zum nächsten, jagte allen Details der Geschichte quer durch den Äther nach, konnte seinen Satz jedoch nicht beenden, denn Ottilia sagte: »Das Interview wurde vergangene Woche vom Leiter des Bukarester Büros der Prawda und im Beisein des russischen Botschafters in Trofims Wohnung geführt.« Leo und ich starrten sie verblüfft an.
    »Woher weißt du das? Du hast ihn doch gerade erst kennengelernt.« Ich errötete gleich doppelt: zuerst aus Eifersucht und dann, weil meine Eifersucht so offensichtlich war – eine Röte überlagerte die andere.
    Sie lächelte und küsste mich auf die geschwollene Lippe. »Trofim ist jetzt unantastbar. Man hat ihn unter Hausarrest gestellt, aber Ceaușescu weiß sehr wohl, dass er die Russen provozieren würde, wenn er ihm etwas antäte. Er wird Trofim am Ende in Ruhe lassen müssen.«
    »Genial!« Leo klatschte bewundernd in die Hände. »Dieser raffinierte alte Fuchs. Ich habe dir doch gesagt, dass er ein Comeback plant!« Leo holte ukrainischen Champagner aus dem Kühlschrank. »Das muss mit Sovietskoi -Schaumwein begossen werden.« Und zu mir sagte er: »Hol ein paar Gläser und hör auf zu gucken, als hätte man dir den Arsch versohlt!«
    Abends trafen wir uns mit Ozeray im Athénée-Palast, wo er mit einer seiner Diplomatenrunden zu Abend gegessen hatte. Er rauchte eine Zigarre, betrachtete die Speisereste und die beschwipsten Gäste wie ein General, der seine erschöpfte Armee inspiziert.
    Ottilia und ich standen an der Bar, während Leo und Ioana, die eine ihrer seltenen harmonischen Phasen hatten, zu »Klassikern der Anmache« tanzten. Ozeray erhob sich schwerfällig, entschuldigte sich bei seinen Freunden und kam zu uns an die Bar.
    »Trofim wurde verlegt. Wohin, wissen wir nicht. Maltschew hat mir berichtet, dass man ihn heute Abend um zehn Uhr an einen unbekannten Ort gebracht hat.«
    Maltschew, der Chef des Prawda -Büros, saß am anderen Ende der Bar. Er nickte uns kurz zu, als sein Name fiel, den er aufgrund seines langjährigen Spionagetrainings offenbar von den Lippen ablesen konnte.
    »Man wird ihn an einen ungemütlichen und gut versteckten Ort bringen. Aber nicht in ein Gefängnis. Apostol und die anderen wurden gegen Mittag einkassiert.«
    »Woher stammen diese Informationen? Von den Russen?«
    »Neue Umstände, neue Bündnisse«, erwiderte Ozeray und prostete Maltschew zu, der ebenfalls sein Glas hob.
    Was anfangs wie selbstloser Mut ausgesehen hatte, erwies sich als generalstabsmäßig geplante Kampagne, die Trofim auf das politische Spielfeld zurückführen sollte, als Schachzüge eines mit allen Wassern gewaschenen Strategen. Ottilia hatte das viel früher durchschaut als ich. Trofim hatte es mir durch die Blume sagen wollen – mit den Geschichten über Arghezi, Intrigen und Säuberungen, mehrfachem Verrat. Er hatte mich nicht belogen, sondern versucht, mich zu informieren, ohne seine Pläne zu gefährden, aber ich hatte lieber am Bild des enttäuschten Idealisten festgehalten, des ergrauten, in den Ruhestand abgeschobenen Staatsmannes. Ich hatte geglaubt, ihn beschützen zu müssen, hatte seine Vertraulichkeiten eifersüchtig gehütet. In Wahrheit hatte er alle ausgetrickst, ob Freund oder Feind. Hinter mir verabschiedete sich jemand lautstark von der Concierge – Maltschew brach mit seiner Truppe auf.
    Man betrat den Athénée-Palast durch eine Drehtür, die Platz für eine einzige Person bot und deshalb sehr beliebt war – sowohl bei denjenigen, die beschattet zu werden glaubten, als auch bei denen, die mit der Zahl ihrer Leibwächter prahlen wollten. Diese wie ein Trichter funktionierende Tür war in einem Überwachungsstaat ideal: Da

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