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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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zusammengewürfelt: ein rotes T-Shirt mit dem Aufdruck »The Champ«, grüne Jeans, Basketballschuhe aus China und ein karierter Schal, mit dem ich meinen Mund verhüllte. Als ich schließlich die Piaţa Victoriei erreichte, wedelte ich mit Dollarscheinen, aber kein einziges Auto hielt an.
    Dann hupte es hinter mir, und Leos blauer Škoda knirschte über die Bordsteinkante. »Junge! Beim Anblick deiner Wohnung dachte ich mir schon, dass es ihnen ernst ist.«
    »Ich weiß nicht, was passiert ist. Oder warum. Ich wollte auf dem Weg zur Arbeit Sergiu besuchen. Aber als ich dort ankam …«
    Leo angelte zwei Zeitungen von der Rückbank. »Steht alles hier drin.«
    Auf der ersten Seite des International Herald Tribune prangte ein Foto von Trofim, darunter ein Artikel mit der Überschrift: Brief der »Fünf«: Ceaușescus Kritiker gehen in die Offensive. Der Artikel zitierte einen offenen Brief, der von fünf altgedienten Kommunisten verfasst und an alle wichtigen Zeitungen im Westen geschickt worden war. Sie forderten Ceaușescu zum Rücktritt auf. Leo zeigte mir auch den Artikel in der Pariser Libération , der über Trofims Memoiren und die spektakuläre Buchpremiere berichtete. Sowohl Libération als auch die Washington Post wollten in der folgenden Woche Auszüge abdrucken.
    »Trofim steht unter Hausarrest. Das weiß die ganze Stadt. Ozeray hat mich heute früh angerufen.«
    Trofims Brief bezichtigte Ceaușescu einer verfehlten Wirtschaftspolitik und eines stalinistischen Personenkultes, warf ihm vor, die Partei geschwächt und in Rumänien für Lebensbedingungen wie in der Dritten Welt gesorgt zu haben. Er drückte seine Solidarität gegenüber Streiks und Protesten aus und schloss mit der Aufforderung, Ceaușescu möge zurücktreten. In einer letzten rhetorischen Wendung hieß es: Der Größenwahnsinn eines einzelnen hat erschreckende Ausmaße angenommen. Was wir derzeit erleben, ist nicht nur eine Schande für den Kommunismus, sondern zerstört auch die Kultur unserer Nation. Trofim, der als erster unterschrieben hatte, war zweifellos der Urheber dieses Briefes. Rumänien, forderte er, solle sich Gorbatschows Bemühungen um eine Reform des Kommunismus anschließen. Trofims Rede im Haus des Schriftstellerverbandes war ein Witz gewesen, aber dies war die Pointe. Er hatte alles mit Unterstützung Ozerays und einiger anderer eingefädelt.
    »Gerissener alter Sack«, sagte Leo. »Er hat alles ganz genau dosiert: liberaler Ein-Parteien-Sozialismus samt Perest-scheiß-drauf-roika, um die Russen nicht zu verprellen, und zugleich genug Dissidenten-Aufmüpfigkeit, um von Amis und Europäern auf den Sockel gehoben zu werden. Würde mich nicht wundern, wenn manche Leute in Washington und Moskau jetzt denken: ›Sergiu Trofim … das wäre der richtige Mann für uns …‹ Dieser alte stalinistische Fuchs hat sich zum Reformhelden gewandelt. Der Hammer!«
    »Er ist erledigt, oder?«, sagte ich. »Politischer Selbstmord. Er steht schon unter Hausarrest. Was wird man ihm noch alles antun?«
    »Nicht viel. Überleg mal: Fünf kommunistische Schwergewichte schreiben einen Brief an die Weltpresse. Heute Abend werden alle Radiosender darüber berichten: World Service, France Culture, Radio Free Europe, Voice of America, Radio Moskau. In Bukarest hat es schon die Runde gemacht, in anderen Großstädten sicher auch: Cluj, Brașov, Timișoara. Außerdem in Botschaften und Konsulaten und an den Universitäten. Man wird Trofim ein bisschen in die Mangel nehmen, vielleicht schiebt man ihn auch in irgendeine Industriestadt mit lausigen Restaurants und ohne Bibliothek ab und lässt ihn eine Weile schwitzen, aber das war es dann auch. Wenn sie ihn in den Knast bringen, machen sie ihn zum Märtyrer. Er ist dreiundsiebzig – jung für einen kommunistischen Führer –, und er ist ein sehr bekannter Staatsmann. Er hat noch ein paar Jahre vor sich.«
    »Und die anderen Unterzeichner? Was sind das für Leute?«
    »Vier hochrangige, aber eher unwichtige Ex-Minister. Stanciu, Ralian, Slavnicu, Apostol. Ich kenne nur Apostol … Auf seine Art ein guter Kerl.« Leo drückte auf die Hupe und überholte einen Betonmischer. »War in den Sechzigern der designierte Nachfolger von Gheorghiu Dej. Wurde aber plötzlich fallengelassen, weil sich seine Verbündeten unserem Genossen und Kojak -Fan zuwandten, und zu einem Leben auf diplomatischen Außenposten wie Venezuela und Bangladesch verdammt. Ich kenne auch Ralians Tochter, aber nur flüchtig. Davon

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