Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)
Jackentasche, eine Dose mit Proteinpillen und Tütchen mit Rehydrierungspulver. Mir fiel zum ersten Mal auf, dass sie auch eine Tasche dabeihatte, aus der sie jetzt drei Flaschen Mineralwasser zog. Sie schenkte etwas ein, tat das Pulver dazu und reichte Trofim das Glas.
»Schlafen Sie, versuchen Sie, warm zu bleiben, kochen Sie das Wasser vor dem Trinken ab. Außerdem sollten Sie sich täglich etwas bewegen.« Trofim nickte und legte eine Hand auf die ihre. »Hier ist ein Antibiotikum – Sie haben eine Brustkorbinfektion. Nehmen Sie eine Woche lang täglich drei Tabletten.«
»Was ist mit den anderen?«, fragte Trofim.
»Slavnicu und Ralian sind eingeknickt. Sie behaupten, Sie hätten sie unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu einer Unterschrift veranlasst. Stanciu bleibt standhaft, ist jedoch krank. Von Apostol wissen wir nur, dass er irgendwo in Baneasa ist«, erzählte ich ihm.
Trofim nickte. »Solange Apostol davon überzeugt ist, am Ende zu gewinnen, wird er durchhalten. Stanciu ist anders gestrickt. Ein guter Mann, dickköpfig und schroff zu allen, ob Freund oder Feind. Er wird aus reiner Sturheit durchhalten. Er wollte den Brief anfangs gar nicht unterschreiben. Jetzt wird er seine Unterschrift nicht mehr zurückziehen!« Sein Lachen ging in einen Hustenanfall über. »Und wie sieht die Berichterstattung aus?«
»Ah, Genosse!«, antwortete Leo. »Ich habe mich schon gefragt, wann Sie zum Wesentlichen kommen! Ich habe Zeitungsausschnitte für Sie vorbereitet, die Sie in aller Ruhe hier in Ihrer luxuriösen garconnière lesen können, während draußen Ihr freundlicher Hahn über Sie wacht.«
Leo übergab ihm ein Heft mit Artikeln. Trofim überflog sie – The Washington Post , The Times , Prawda , Libération – und wirkte erfreut. Er schälte eine Banane, kaute sie langsam und mit geschlossenen Augen, genoss den Geschmack. Dann holte er zwei Blechtassen, einen angeschlagenen Becher und eine ausgespülte Sardellenkonserve und schenkte Whisky ein.
»Auf die Freunde hier und im Ausland.« Er hob seine Tasse. »Ich werde bald wieder zu Hause sein. Diese Situation ist auf Dauer unhaltbar für sie. Sie können mich nicht mehr lange hier einsperren. Würden Sie mir währenddessen einen Gefallen tun?«
»Und welchen?«
»Könnten Sie herausfinden, wo man Stanciu und seine Frau festhält? Und ihnen Vorräte bringen?«
Da wurde laut an die Tür gepocht, und der Wächter trat ein, atemlos und verängstigt. »Die Zeit ist um. Sie sind im Anmarsch. Verschwinden Sie.« Sein Blick fiel auf die vielen Vorräte. »Das müssen Sie verstecken. Unter der Matratze, im Klo, egal wo, aber man darf die Sachen nicht sehen. Bitte, Domnul …« Domnul – Trofim stand selbst hier, als Gefangener, ganz oben in der Hierarchie.
Beim Gehen steckte ich Trofim mein Mitbringsel zu: ein kleines Kurzwellenradio samt Kopfhörer. Ich hatte in weiser Voraussicht Batterien eingelegt. Er bedankte sich mit einer Umarmung, hatte Tränen in den Augen. Er hatte noch nie so verletzlich gewirkt. Normalerweise machte er nur eine schlagfertige Bemerkung, gab einem die Hand, nahm nochchalant Abschied. Obwohl er sich um Reinlichkeit bemühte, konnte ich, als ich seine mageren Schultern hielt, alte Kleider, Urin, Schweiß und Schmutz riechen und fühlte mich wie ein Beschützer. Das, dachte ich, hätte ich auch für meinen Vater empfinden können, vorausgesetzt, er hätte lange genug gelebt, um so alt zu werden, und wäre … tja … ein richtiger Vater gewesen. Trofims zerbrechlicher Körper war leicht zu töten, aber sein scharfer Intellekt war dem Geschehen immer einen Schritt voraus: Der Puppenspieler dirigierte die Vorstellung nicht nur hinter den Kulissen, sondern sogar noch von dieser feuchten, dreckigen Zelle aus.
Als Gegenleistung für einen weiteren halben Kofferraum voller Waren verriet uns der Wächter, wo Stanciu versteckt wurde.
»Wir fahren aber nicht sofort hin, oder?«, fragte ich Leo.
»Warum nicht? Es ist ganz in der Nähe. Und die Sache ist gefahrlos – nachts wird er nicht bewacht, weil er mehr oder weniger unbeweglich ist.«
Ottilia kramte in ihrer Medizintasche und fand Spritzen sowie Ampullen mit Insulin. »Das wird ihn freuen.«
»Stalingrad-Boulevard, Block neun, sechster Stock, Wohnung dreizehn«, wiederholte Leo. Der Fahrstuhl funktionierte, und das Gebäude war sauber. Obwohl dies kein Vergleich mit der Wohnung in Herastrau war, aus der man ihn geholt hatte, blieb Stanciu das Schlimmste erspart. In der
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