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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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man der Reihe nach eintreten musste, verlangsamte sich alles, die Spreu trennte sich vom Weizen. Maltschew wurde von zwei plumpen Securitate-Schergen beschattet, offenbar frisch aus der Provinz, denn sie versuchten sich gemeinsam durch die Drehtür zu zwängen. Ihnen folgten ein KGB-Agent, eine Dame und schließlich ein Mann mit braunem Regenmantel und Filzhut. Im Rücken des russischen Journalisten gedieh ein ganzes Überwachungsbiotop.
    Der Mann im Regenmantel trat auf die Straße. Er war bärtig, sorgfältig frisiert, trug eine Brille und hatte den Hut tief in die Stirn gezogen. Sein Profil kam mir vertraut vor. Oder redete ich mir das später ein, weil ich glaubte, Vintul erkannt zu haben? Ich klopfte gegen die Scheibe und rief seinen Namen, doch er reagierte nicht. Ich pochte noch einmal gegen die Scheibe; alle anderen Leute drehten sich nach mir um, aber er ging einfach weiter.
    Vor der Tür hatte sich eine Menschentraube gebildet. Eine alte Frau, deren Koffer sich verklemmt hatte, saß mitsamt ihrem kläffenden, abwasserfarbigen Pudel in der Drehtür fest. Als ich endlich draußen stand, war der Mann längst verschwunden.
    Ich rannte zur Ecke Strada Episcopiei, ohne ihn zu entdecken. Ich hätte bis zum Boulevard Magheru weiterlaufen können, aber das wäre sinnlos gewesen. Also ging ich zurück, um ein Taxi zu rufen. Ich erzählte Ottilia nichts von dem Vorfall. Je länger ich durch das von Regentropfen bedeckte Fenster des Taxis starrte, desto unsicherer wurde ich. Hatte ich mich vielleicht geirrt? Ein unauffälliger, durch eine halbdunkle Lobby eilender Mann, dessen Profil mich aus rätselhaften Gründen an einen Bekannten erinnert hatte. Das Bild begann bereits zu verschwimmen. Welche Farbe hatte sein Mantel gehabt? Hatte er einen Hut getragen? Einen Beutel oder eine Brieftasche bei sich gehabt? Die Haarfarbe? Die Augenfarbe? Als wir wieder in meiner verwüsteten Wohnung standen, war nur noch die Aura einer Person übrig, die ich vermisste.
    Man hatte Trofim, Apostol und die anderen an den Stadtrand verlegt. Slavnicu kniff den Schwanz ein, als man ihn holen wollte, widerrief alles und erklärte, von Trofim und Apostol zur Unterschrift gezwungen worden zu sein. Er durfte in seinem Haus in Herastrau bleiben. Stanciu war Diabetiker, und Ralian konnte kaum noch gehen, also steckte man sie in Wohnblöcke ohne Fahrstuhl, Strom und Gas. Laut Ozeray hatte man Trofim in einem unfertigen Hochhaus untergebracht; das einzige fließende Wasser kam durch das Dach, als Klimaanlage dienten Fenster, die noch keine Scheiben hatten.
    Trofim machte Schlagzeilen. Der amerikanische und der sowjetische Botschafter wollten ihn unbedingt treffen, und die rumänischen Botschafter in Russland und den USA wurden in das jeweilige Außenministerium bestellt, wo man ihnen eine Protestnote überreichte. Der französische Außenminister forderte Ceaușescu in einer Rede auf, alle Dissidenten auf freien Fuß zu setzen. Trofims Verleger meldete sich mit der Erklärung zu Wort, dass die erste Auflage der Memoiren schon vergriffen sei, weil Trofims Abwesenheit bei der Buchpräsentation, der Minister, Menschenrechtsaktivisten, Exilanten sowie eine bunte Mischung von Philosophen des Absurden, Dichtern und Dramatikern beigewohnt hatte, für ein breites Medienecho gesorgt habe. Die Sunday Times druckte Auszüge des Kapitels über den Aufstieg Ceaușescus, in dem Trofim erklärte, es sei seine Aufgabe gewesen, die Kriegsvergangenheit des Genossen so abzuändern, dass dieser als antifaschistischer Held dastand. Er nannte Elena Ceaușescu eine »fast analphabetische Laborassistentin und professionelle Plagiatorin« und zählte jene Wissenschaftler auf, deren Forschungsergebnisse sie im Laufe der Jahre als die ihren ausgegeben hatte. Eine andere Zeitung veröffentlichte Fotos des Staatsbesuchs der Ceaușescus: der Genosse und Gemahlin bei der Königin; mit einem Tory-Minister, der einen Bauchumfang à la Obelix hatte, auf der Jagd; Elena bei der Überreichung der Ehrendoktorwürde durch die West London Polytechnic. Trofim enthüllte, dass sie von acht Universitäten abgewiesen worden war und sich geweigert hatte, die Hand des Vizerektors zu schütteln, weil dieser Jude war.
    Die übrigen Dissidenten gerieten rasch in Vergessenheit. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand Trofim, der als staatsmännischer Kopf der Dissidenten Rumäniens galt. Der US-Außenminister, französische Regierungsbeamte, britische Minister und russische Regierungssprecher

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