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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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auf einer Bank. Autos, die nach einer von Leos Soireen vor dem Museum abfuhren, Ottilia und ich auf dem Rückweg von Trofim. Ottilia vor meinem Haus. Leo, der Geld bei einem Zuhälter umtauschte und dabei in der Nase bohrte. Wintersmith, der sich vor der Botschaft mit mir unterhielt. Es gab weder Fotos von Petre und Vintul, die einzigen Freunde, die mich in Gefahr hätten bringen können, noch von Cilea oder Manea. Sollte mir das etwas sagen?
    »Bitte bewahren Sie die Fotos für meine Autobiographie auf. Meine Zeit in Rumänien wird eine kurze, aber entscheidende Episode meines Lebens sein. Und ganz sicher die am besten dokumentierte. Und nun verraten Sie mir bitte, warum ich hier bin.«
    »Ah, der englische Humor«, erwiderte er gelassen und immer noch lächelnd. »Schauen wir mal, ob er Ihnen in dieser Lage eine Hilfe ist. Wir haben eine umfangreiche Akte über Ihre Aktivitäten angelegt, die vielfach als staatsfeindlich eingestuft werden können. Viele sind im herkömmlichen Sinne kriminell: Umtausch von Geld auf dem Schwarzmarkt, versuchte Bestechung von Staatsbeamten, Bekanntschaft mit Kriminellen, Benutzung von Prostituierten …«
    »Prostituierte? Ich habe noch nie im Leben eine Prostituierte benutzt , wie Sie es auszudrücken belieben. Und was die angebliche Bestechung betrifft, so ist ›versucht‹ nicht das richtige Wort, denn in diese Versuchung bin ich bisher noch nicht gekommen …«
    »Vergeuden Sie nicht unsere Zeit. Diese Beweise deuten auf gewöhnliche Kriminalität hin. Im Falle einer Anklage hätten Sie nicht mehr viel zu lachen, und Ihre Botschaft wird wegen krimineller Umtriebe und Störung der öffentlichen Ordnung nicht intervenieren. Sie werden ganz auf sich allein gestellt sein.«
    »Ich kann nichts für Sie tun. Klagen Sie mich an, oder lassen Sie mich laufen.«
    » Anklagen oder laufenlassen ? Sie haben wohl zu viele Polizeiserien gesehen. Ich finde Die Füchse am besten.« Er lachte und nahm die Brille ab, holte gleichzeitig mit der anderen Hand aus und landete einen Schwinger mitten in meinem Gesicht. Die Lippe platzte über den Vorderzähnen, das Nasenbein knackte wie ein trockener Ast. Metallisch schmeckendes Blut strömte mir in die Kehle.
    Der Vernehmungsbeamte las in meiner Akte, als wäre nichts geschehen. Er kreuzte ein Kästchen auf dem Deckblatt an, notierte die Zeit – 10:38 – und unterschrieb. Ich versuchte, seinen Namen zu entziffern, aber die Schrift war unleserlich. Als man nach der Wende die Polizeiarchive in Rumänien und anderen postkommunistischen Staaten öffnete, trugen fast alle Berichte eine solche Pseudounterschrift – ein Gekritzel, das keiner bestimmten Person zuzuordnen war, sondern besagte, dass alle unter einer Decke steckten.
    »Wir sprechen uns wieder. Sie helfen uns schon noch. Sie werden keine andere Wahl haben«, verkündete er so jovial, als hätten wir gerade eine Freundschaft für das Leben geschlossen. Er gab mir die Hand, mit der er mich geschlagen hatte, und verließ den Raum. Mein Kopf schwirrte, mein Gesicht war voller Blut und Schnodder. Ein Zahn hing lose im Mund. Die zwei Securitate-Agenten, die mich mitgenommen hatten, führten mich nach oben zum Dacia. Man hatte eine Plastikplane über den Sitz gelegt, damit er nicht von den Körperflüssigkeiten des Verhörten beschmutzt wurde.
    Als ich nach Hause kam, stand die Wohnungstür offen, das Schloss war aufgebrochen – unnötigerweise, denn diese Leute hatten einen Schlüssel. Man hatte alle Zimmer auf den Kopf gestellt, Schränke ausgeräumt und Schubladen geleert. Gemälde und Poster waren abgenommen und mutwillig beschädigt worden. Man hatte das Telefonkabel aus der Buchse gerissen, meine Bücher von den Regalen gefegt, die Regale umgekippt. Im Schlafzimmer lagen meine zerschlitzten Kleider auf dem Fußboden. Ottilias Tasche war mit einem einzigen Schnitt geöffnet worden.
    Im Bad wusch ich mein Gesicht. Die Oberlippe war geschwollen, der Riss verschorfte. Ich zog einmal am Zahn, dann hatte ich ihn in der Hand. Ich suchte ein paar Klamotten zusammen und verließ das Haus. Vom Naturkundemuseum aus rief ich Leo an, aber er war weder zu Hause noch bei der Arbeit zu erreichen. Ich legte auf und wischte das Blut vom Hörer. Das Geräusch in meinem Schädel glich dem Brummen eines Fernsehers nach Sendeschluss.
    Kein Taxifahrer wollte mich mitnehmen. Ich sah aus wie ein verkommener Säufer, der soeben aus einer Bahnhofstoilette oder Zelle getorkelt war. Meine Kleidung war knittrig und bunt

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