Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)
Antonescu – sehr lustig. Der Pogrom in Iași ist ihm offenbar vollkommen gleichgültig.« Im Juli 1941 hatten Antonescus Faschisten zehntausend Juden, darunter Trofims Eltern und Schwester, ermordet. Trofim war von Stanciu mit seinem echten jüdischen Vornamen angeredet worden, Saul , den er zu Sergiu latinisiert hatte. Er hatte sich durch und durch rumänisiert , aber für manche war er immer noch Saul Trofinsky, Sohn des Rabbis aus Iași, der aus einer anderen Welt, einer anderen Epoche zu stammen schien.
»Ja, das ist sein üblicher kleiner Scherz. Er weiß Bescheid … Er war dabei, und zwar nicht, wie ich hinzufügen möchte, auf Seiten der Gerechten … Stanciu hat in Antonescus Armee als Unteroffizier gedient, für die Faschisten gekämpft. Er stammt aus meinem Dorf. Wir kannten uns. Während des Krieges war ich Erster Sekretär der Iași-Partei, saß als Kommunist und Jude aber im Gefängnis. Zweimal zum Tode verurteilt – die Frage war nur, welches Urteil zuerst vollstreckt werden würde. Aber ich hatte Glück. Nach meiner Entlassung wurde ich Ankläger im Prozess gegen Antonescu. Ich teilte Stanciu für das Hinrichtungskommando ein und ließ seine Kriegsakte verschwinden. Dadurch entging er den Racheaktionen und trat später in die Partei ein. Als einer derjenigen, die Antonescu hingerichtet hatten, hat er nach dem Krieg rasch Karriere gemacht. Das hat er mir zu verdanken.«
Trofim lehnte sich auf das Geländer der alten Kirche in der Strada Monetariei und verschnaufte. Die Tür stand offen, und Weihrauchschwaden hingen in der kalten, unbewegten Luft. Er schnupperte und zog eine Grimasse, trat dann zurück und strich über seinen Mantel, als wollte er den Schmutz der Religion abwischen. »Die Schützen verfehlten Antonescus Herz, und es war Stanciu, der ihn mit drei Schüssen erledigte. Mit dieser Geschichte ist er dreißig Jahre hausieren gegangen. Bei jedem Schuss ging ein Ruck durch die Leiche – ›wie bei einem Stromstoß!‹, sagte Stanciu immer. Als die Juden während der späten fünfziger Jahre wieder Pogromen ausgesetzt waren, kam es gelegen, Stanciu zum Verbündeten zu haben. Er ist kein richtiger Antisemit … Das gilt übrigens für die meisten, die uns umbringen wollten. Etwas, das ich beängstigender finde als die Bedrohung durch ein paar Judenhasser.«
Wir gingen einige Minuten schweigend weiter. Dann sagte er unvermittelt und als würde er ein Selbstgespräch führen: »Na gut … ich führe Sie hin.« Trofim brauchte mich, um mit sich selbst reden zu können.
Wir kehrten in die Mihalache zurück, gingen an der Klinik vorbei zur Piaţa 1. Mai. Für Trofim, immer noch geschwächt vom Aufenthalt in der Bruchbude, in der man ihn zur Strafe einquartiert hatte, war das ein langer Weg. Er stützte sich auf meinen Arm, und ich sah die schlaffe Haut seines Halses, den Schatten, den das bis oben zugeknöpfte, krawattenlose Hemd darauf warf. Wir erreichten die Ecke Neculce und Mihalache. Hier stand eine hohe Mauer mit blättrigem Verputz und Glasscherben obendrauf. Das schwere, mit Spitzen versehene Tor war durch eine Kette gesichert, doch es gab kein Vorhängeschloss. Ich sah Trofim an, der auf meinen fragenden Blick hin den Efeu von einer verdreckten Messingtafel auf der linken Seite des Tores zog: Cimiturul Israelit Filantropia . Jüdischer Friedhof. Er ließ seinen Stock über die Stäbe des Tores gleiten – der dumpfe Hall der Bronze passte irgendwie zum roten und goldenen Laub, der Stimmung des sterbenden Tages. Es war später Nachmittag, und das letzte Sonnenlicht fiel in Streifen auf den Bürgersteig.
Ein winziger Mann humpelte aus dem Wärterhäuschen, knöpfte beim Gehen die Jacke zu.
»Schalom«, sagte der Alte. Trofim reichte ihm durch die Gitterstäbe kurz die Hand: »Tovarășul.« Das war ihr Ritual: religiöser Gruß und kommunistische Anrede. Keiner von beiden wollte sich etwas vergeben.
Die rostigen Torflügel öffneten sich knarrend. Dahinter erstreckte sich eine wüste Nekropole: schiefe Grabsteine, zur Hälfte von Gras und Brombeeren überwuchert, zerbröckelnd, entstellt oder ganz zerbrochen. Verblichene Schmierereien, die abgewaschen, erneuert und wieder abgewaschen worden waren und nun wie Flachreliefs wirkten: Naziparolen, Hakenkreuze, das faschistische Emblem der Eisernen Garde. Die Antisemiten kamen immer noch, um die Gräber zu schänden. Der Staat, der nur die Friedhöfe der Orthodoxen anerkannte, überließ die Pflege dieser Stätte Freiwilligen. Die Wege,
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