Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)
Transportkisten geliehen … Ein paar Luftlöcher und etwas Stroh, und fertig ist die Sache – ein hübsches, kleines Abteil erster Klasse für ein Liebespaar auf der Suche nach einem besseren Leben.«
Vintul missfiel es, dass Leo so leichtfertig Namen preisgab. Ich betrachtete Leo und die trübäugigen, am Feuer sitzenden jungen Leute. Ein Kommando von Amateuren: Ein paar Hippies und eine bunte Truppe von Malern und Professoren, die es mit einem der gnadenlosesten Sicherheitsapparate auf der ganzen Welt aufnahmen.
»Wart ihr erfolgreich?« Ich versuchte, nebensächlich zu klingen, wieder in das Gespräch einzusteigen.
»Erfolgreicher, als du vielleicht glaubst«, antwortete Vintul.
»Was passiert mit jenen, die man erwischt?«, fragte ich.
»Das geht dich nichts an. Wir leben in einer Endzeit.« Er nickte in Richtung Leo. »Ist dir bewusst, dass Leo uns den Kapitalismus gebracht hat? Angebot und Nachfrage, alles zu seinem Preis, der sich ständig verändert – abhängig davon, wie dringend das Bedürfnis seiner Meinung nach ist. Das ist die neue Welt, die wir alle unbedingt kennenlernen wollen.«
»Hast du immer wieder versucht, mich anzurufen?«
»Wir wollten Kontakt mir dir aufnehmen, aber dein Telefon – Belangers Telefon – ist verwanzt. Wie alle Telefone. Wir können jetzt ein Treffen verabreden, falls du bereit bist, uns zu helfen.«
»Und wie?«
»Du kannst Empfehlungen schreiben, Dinge nachprüfen, Sachen für uns transportieren. Wir hätten Verwendung für deine Pässe und Devisen. Du kannst uns mit kleinen Sachen helfen, und nicht alle sind gefährlich. Was verlangst du im Gegenzug?«
»Gar nichts. Ich bin nur mitgekommen, um zu schauen, was ich tun kann …«
»Jeder möchte eine Gegenleistung. Geld, Einfluss, ein reines Gewissen … Wo ist da der Unterschied?«
»Wenn ich euch helfe, dann nur, weil es meiner Ansicht nach Unterschiede gibt . Findest du nicht auch?«
»Wenn du meinst.« In Wahrheit hieß das: Ich habe dieses Gespräch schon mit besseren Leuten als dir geführt.
Leo legte mir einen Arm um die Schultern. Das war eine beschützende Geste, und sie ärgerte mich – denn Leo rettete mich vor einem überlegenen Gegner. Vintul sagte, man werde mich irgendwann im Laufe der nächsten Wochen anrufen, und wenn der Anruf komme, sei alles geregelt. Ich solle mich bereithalten.
Nachdem alles besprochen war, trank Vintul einen Schluck Rotwein und drehte sich einen fetten Joint, den er für sich behielt. Irgendjemand hatte eine neue Kassette eingelegt: Wir hörten jetzt aggressiven Ethno, der volkstümliche Melodien mit elektronischen Rhythmen mischte. Vintul nickte im Takt und trank aus der Flasche. Mir fiel auf, wie muskulös seine Arme und sein Hals, wie kantig und entschlossen seine Züge waren. Bis auf Vintul wirkten alle ziellos und beliebig, waren entweder pummelig oder abgemagert. Zwei Mädchen schliefen, und die drei jungen, betrunkenen Männer führten einen Volkstanz vor einer Trittleiter auf, die sie in Brand gesteckt hatten. Oben darauf standen zugekorkte leere Flaschen, die der Reihe nach lautstark explodierten.
Plötzlich sahen wir, dass der Schein starker Taschenlampen draußen das Dunkel zerschnitt. Dann hörten wir Hundegebell und Rufe.
»Abhauen! Sofort!«, rief Leo und stieß mich zum Flur.
»Nein«, sagte Vintul. »Sie rechnen damit, dass ihr ins Freie flieht. Ihr müsst tiefer ins Gebäude. Kommt mit.«
Für einen Mann, der die ganze Nacht Hasch geraucht und getrunken hatte, sprang Vintul überraschend behende auf. Im Gegensatz zu den anderen, die alle benommen waren, hatten die Drogen kaum Wirkung auf ihn gehabt. Er rüttelte seine Freunde wach, teilte uns in drei Gruppen auf, zeigte in verschiedene Richtungen. Mir war übel, und Leo war noch grüner im Gesicht als üblich. Der winzige Ghettoblaster lief krachend laut weiter.
Im Dunkeln erklang ein Knurren, und im Strahl der Taschenlampe leuchtete ein Paar gelb gefleckter Augen auf. Dann noch eines. Zwei Schäferhunde.
»Rechts halten, immer rechts halten, egal, was ihr seht«, sagte Vintul. Und dann, an mich gewandt: »Wir bleiben in Kontakt!«
Leo knipste die Taschenlampe aus, und wir drangen in die Tiefen des Gebäudes vor.
Wir hatten das Gefühl, stundenlang umherzuirren, hielten uns rechts, liefen durch Flure und Säle, hörten im Hintergrund Stimmen und Hundegebell. Die Zeit dehnte sich endlos – durch Drogen, Angst, Adrenalin. Leo und ich keuchten vermutlich nicht mehr als zwanzig oder dreißig
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