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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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befleckt «, deklamierte Cilea mit ironischer Ernsthaftigkeit. »Das haben wir in der Schule gelernt – und dergleichen mehr: dekadent und ästhetisierend, den Belangen des Sozialismus fremd …« Sie lachte. »Ist sie nicht schön? Sieh dir das Kleid an, die Kette …«
    »Früher wäre sie vielleicht die Prinzessin gewesen«, sagte ich mit Blick auf den Zweiteiler von Chanel und die Pelzboa, das blasse, ovale Gesicht und die dunklen Augen unter dem geraden schwarzen Pony. Cilea lachte wieder. »Verflucht – das ist die Prinzessin!«, rief ich verblüfft. Da stand es, unten auf dem Rahmen, in goldener Schrift auf einer kleinen, gefirnissten Plakette: »Portretului Contessa Antoaneta Cantesco«.
    In diesem Moment kam es weiter hinten zu einem Aufruhr. Die Prinzessin persönlich. Sie hatte wie üblich etwas aus dem Besitz ihrer Familie entdeckt und forderte die Rückgabe. Leo beschwichtigte sie stets, manchmal kaufte er das betreffende Stück sogar zurück, um es ihr zu schenken.
    »Irgendein Ex-Aristokrat motzt immer wegen irgendeiner requirierten Habseligkeit«, sagte Cilea müde. Sie nahm mich bei der Hand und führte mich hinauf in die Eingangshalle. Nach dem heißen, überfüllten Keller war der kalte Marmor des Atriums eine Erleichterung, und im Treppenhaus genoss ich die Zugluft, die meinen verschwitzten Rücken trocknete. Ich folgte Cilea in ein Zimmer abseits der Galerie, das Büro des Kurators. Wir küssten uns, während sie die Tür mit geübter Hand hinter uns verriegelte, dann zog sie mich zurück, eine Hand auf meiner Gürtelschnalle, bis sie gegen einen Tisch stieß. Sie fegte ihn leer, ohne sich umzudrehen, und wuchtete sich darauf, schlang ihre Beine um meine Waden. Sie war schon feucht, und ich hob ihren Rock und vögelte sie hastig. Sie wandte ihr Gesicht ab, mein Mund lag auf ihrem Hals. Ich schmeckte ihr bitteres Parfüm, das kurz zuvor noch so wunderbar moschusartig geduftet hatte. Als ich meine Zunge in ihren Mund schob, war er heiß. Cilea biss mich in die Lippe, als sie kam, und ließ nicht zu, dass ich mich aus ihr löste. Meine Lippe blutete, aber sie zog ihren Mund nicht fort, fuhr mit der Zunge über den brennenden Schnitt.
    Irgendjemand rief ihren Namen. Sie drückte mich fest an sich, seufzte und küsste mein Gesicht, dann zog sie sich wieder richtig an. Sie wischte Blut von ihrer Oberlippe. »Gib mir ein paar Minuten, damit ich zuerst verschwinden kann«, sagte sie beim Gehen. »Ich melde mich morgen bei dir.« In der Eingangshalle stand Titanu, der Leibwächter ihres Vaters, ein bulliger ehemaliger Ringer aus Moldawien mit einem Kopf wie eine Patronenkugel. Er war immer präsent, seit wir uns sahen. »Mein Vater behält gern alles im Blick«, sagte sie. Ich wusste nicht, ob sie dies warnend oder beruhigend gemeint hatte, und ich mochte nicht fragen. Sie blieb am Fuß der Treppe stehen und sandte mir einen Kuss. Das war Cileas Art: Ich hatte nicht gewusst, dass sie heute Abend kommen würde, und wohin sie jetzt fuhr, wusste ich auch nicht. Trotzdem hatte ich ein ganz bestimmtes Gefühl, was sie betraf – eines, das meine Erinnerung an sie prägt –, das Gefühl, dass sie alles geben und mich dann damit alleinlassen konnte.
    »Da bist du ja!«, rief Leo aus dem Schatten, als ich nach draußen ging, um frische Luft zu schnappen. »Ich habe dich gesucht.« Er stand neben seinem Škoda. »Steig ein.«
    Minuten später befanden wir uns ganz oben im Boulevard des sozialistischen Sieges und parkten in einer Straße, in der es ein paar Kioske sowie einen einstöckigen Supermarkt mit Glasfassade gab. In den Regalen waren Karpfenkonserven zu Pyramiden gestapelt. Etwas anderes gab es nicht. Hier und da standen Straßenlaternen herum, doch ihr Lichtschein war so schwach, dass er nur die wogenden Schwärme von Motten und Mücken erhellte.
    »Hier entlang«, sagte Leo und führte mich durch die Straße. »Man muss von vorne kommen, damit es richtig wirkt.«
    Wir bogen auf einen neuen, breiten Boulevard ab, gesäumt von leeren Geschäften und Büros. Längs der Bürgersteige standen frisch gepflanzte, schlaffe Setzlinge, aufrecht gehalten von Holzstangen. Kabel und Rohre ragten aus dem Boden. In unregelmäßigen Abständen hatte man Schilder an den Läden angebracht – Schlachtereien, Bäckereien, Kleidergeschäfte, Supermärkte –, aber was sie bezeichneten, musste erst noch entstehen. Es gab sogar – schwarzer Humor – ein Reisebüro, geschmückt mit Postern von ungarischen Seen und

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