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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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zusammenhingen und sich gegenseitig ergänzten, verfestigte sich immer mehr.
    Ich blieb im Hintergrund, wartete ab, bis sich meine Augen an das Dunkel gewöhnt hatten. Vier Männer und drei Frauen saßen am Feuer. Man ließ zwei fette Joints herumgehen, und aus einem Ghettoblaster dröhnten The Grateful Dead. Alle wirkten jung, und alle waren ungewöhnlich gekleidet. Eine junge Frau trug ein Bandana, und beim Anblick der Piercings in ihren Augenbrauen und Wangen und in der straffen Haut über ihrem Kehlkopf tränten meine Augen, zumal alles selbst vorgenommen worden war – man betäubte die Haut mit Eis oder Deospray, durchstach sie mit einer sterilisierten Nadel. Alle hatten lange Haare, trugen Hemden mit Blumen- oder Flammenmuster. Diese aggressiv wirkenden Blumenkinder starrten mich misstrauisch an. Das gepiercte Mädchen fragte mich etwas auf Rumänisch. Sobald sie merkten, dass ich ein Ausländer war, entspannten sie sich. Sie gab mir den Joint.
    »Mel… Melina«, sagte sie lächelnd und sah zu, wie ich beim ersten Zug zusammenzuckte. Sie hatte große Augen und eine sommersprossige Nase, gepierct mit einem im Feuerschein glitzernden Glasstift. Ich reichte den Joint weiter, spürte, wie sich der Rauch in meinen Lungen ausbreitete und in meinen Blutkreislauf eintrat. Er schmeckte seltsam, war offenbar verschnitten oder chemisch versetzt worden. In einem Land, in dem man das Brotgetreide mit Sägemehl streckte, wollte man nicht wissen, was in die Drogen gemischt wurde. Ich hatte kurz das Gefühl, als würde alles Blut aus meinem Herz weichen und dann wieder hineingepumpt werden. Ich konnte dem Gespräch, das sich entspann, nicht folgen. Im Ghettoblaster lief »Friend of the Devil«. Ich glaubte, erste Anzeichen für das Schwächeln der Batterie hören zu können, leiernde Texte, wankende Gitarrenakkorde – oder lag es an der vom Rausch verursachten Übelkeit? The Grateful Dead … was für ein fieser Name , dachte ich, als ich vor der feuchten Wand zu Boden sank und den Kopf zwischen die Knie senkte, aber so anmutige, luftige Musik .
    Der junge Mann, der Leo als erster angesprochen hatte, schien der hellste Kopf zu sein.
    Er stieß mich an: »Leos Freund, hä?« Er klang sardonisch und lässig und als hätte er alles mühelos im Griff.
    »Soll das eine Frage sein?«
    Leo erklärte: »Du hast gesagt, du würdest dich gern nützlich machen. Ich habe dich beim Wort genommen. Was könnte nützlicher sein, als Vintul zu treffen – Le Vent … Der Wind – und zu hören, was er zu sagen hat?«
    Der junge Mann war bärtig, langhaarig, drahtig. Er wirkte sogar im Sitzen kraftvoll und sprungbereit. Ringsumher waren alle schlaff und berauscht, aber er strahlte Energie und Entschlossenheit aus. Er betrachtete mich lange, hielt meinen Blick. Ich wollte mich aufrichten, die Benommenheit abschütteln, mich als ebenbürtig erweisen. Mein Speichel war klebrig und schmeckte verbrannt.
    »Gut«, sagte ich. »Erzählt mir jemand, was läuft?«
    »Wir verhelfen Leuten zur Flucht. Leo unterstützt uns seit vier Jahren, und Belanger hat uns auch geholfen«, sagte Vintul. Leo schien die Erwähnung Belangers nicht zu gefallen, denn er zog heftig am Joint. »Wir helfen Leuten über die Grenze nach Ungarn oder Jugoslawien. Aber wir brauchen Menschen wie Leo und dich, die uns Einladungen von Ausländern besorgen. Die Personen finden, die sich um die Flüchtlinge kümmern.«
    »Und die die nötigen Mittel beschaffen, um jemanden zu bestechen, falls nötig«, warf Leo ein.
    Vintul sah ihn angewidert an. »Ja, Leo hat recht – es gibt eine finanzielle Dimension, aber wir knöpfen den Leuten, denen wir helfen, kein Geld ab.« Es gibt eine finanzielle Dimension … Vintuls Englisch war förmlich, präzise und elegant und stand im eklatanten Widerspruch zu seiner äußeren Erscheinung.
    Leo hing über Mels Ausschnitt, warf einen verstohlenen Blick auf den Spalt zwischen ihren Brüsten, während sie sich vorbeugte, um einen neuen Joint zu drehen. Ihre Haut war zart und milchig, ihre Piercings – durch Fleisch gebohrtes Metall – wirkten grobschlächtig und deplaziert. »Sie machen alle mit«, sagte Leo, nahm den Joint von Mel entgegen und inhalierte tief. »Petrescu – er malt nicht nur Ikonen, sondern fälscht Pässe, Stempel und Visa. Wenn Ionescu in den USA bei einer Konferenz ist, lässt er Bögen mit dem Briefkopf der dortigen Universitäten mitgehen und schmuggelt sie hierher. Costanu vom Naturkundemuseum hat uns mehrmals

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