Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
Vom Netzwerk:
Minuten durch die Dunkelheit, gefolgt von zwei Mädchen, aber es kam mir vor wie eine wankende Odyssee. Die Mädchen kamen uns irgendwann abhanden. Wir traten in Farbtöpfe und Betoneimer, stolperten über Leitungen und Kabel. Leo blieb in Abständen stehen, verschnaufte an einer Wand. Einmal lehnte er sich gegen eine Spanplatte, die durch sein Gewicht umkrachte. Da er die Taschenlampe verloren hatte, spendeten nur Mond und Straßenlaternen Licht. Schließlich erreichten wir einen großen Raum, allem Anschein nach ein unfertiger Ballsaal, und suchten uns eine finstere Ecke, wo Leo zu Boden sank und einschlief. Ich horchte, konnte aber nur den hohlen Hall des Gebäudes hören.
    Stunden oder Minuten später erwachte ich. Das graue Licht der Morgendämmerung erfüllte den Saal, dessen Marmorverkleidung knochenhaft bleich wirkte. Ich hatte Erbrochenes auf den Schuhen, wusste aber nicht mehr, ob es von mir oder jemand anderem stammte. Wir befanden uns wieder in dem Raum, aus dem wir geflohen waren. Vintul hatte uns im Kreis herumgeschickt, weil er damit gerechnet hatte, dass die Luft bei unserer Rückkehr wieder rein wäre. Seine Rechnung schien aufgegangen zu sein. Das Feuer, ein Haufen warmer Asche und verkohlter Balken, war noch warm. Wo waren die Mädchen geblieben? Die Kristalle des Kronleuchters funkelten im Licht, das durch eine Doppeltür fiel, die auf eine squashplatzgroße Terrasse führte. Leo kam zu sich, grunzend wie ein Neandertaler. Auf seiner Stirn klaffte ein langer Schnitt, und er betastete den Schorf. »O Mann … Ich bin zu alt für so etwas«, sagte er, schloss die Augen und setzte sich vor der Wand richtig hin. Im nächsten Moment schnarchte er schon wieder.
    Ratten raschelten in einer Ecke, aber ich konnte nicht sehen, was sie angelockt hatte – ein auf dem Boden ausgebreiteter Mantel? Dann, meine Augen hatten sich auf die Entfernung eingestellt, erkannte ich, dass es ein Zementsack war. Ich konnte die sappschenden Ratten hören, zog mich am Rand einer unfertigen Fensterbank hoch, tat einen Schritt über Leo hinweg und ging durch den Saal.
    Die Schäferhunde lagen nebeneinander, beide tot. Man hatte sie mit Zementsäcken bedeckt. Ich gab ihnen einen Tritt – sie waren schon steif – und riss den Sack weg. Ihre Augen standen offen, ihr Blick war in das Nichts des Todes gerichtet. Man hatte ihre Kehle durchtrennt, und ihr Blut hatte sich unter dem Knäuel aus Eingeweiden mit Zementstaub zu einem kleinen Hügel vermischt. Ich trat dagegen, aber er war bereits hart – rostfarben, von roten Venen durchzogen.
    »Mein Gott …« Ich hatte nicht bemerkt, dass Leo mir gefolgt war. »Zwei Hunde der Miliz mit durchschnittener Kehle. Wer zum Teufel tut so etwas?«
    »Man hat sie nicht durchgeschnitten, Leo. Sieht eher so aus, als wäre ihre Luftröhre zerfetzt oder zerbissen worden.«
    »Lass uns abhauen. Hier wimmelt es von Streunern, Roma, Säufern, Drogensüchtigen und Obdachlosen … Diese Gebäude sind wie ein Slum, und noch dazu ein beschissen gefährlicher.«
    Die Leuchtzeiger von Leos Armbanduhr zeigten vier Uhr früh an. Draußen begannen die Kräne zu arbeiten, Arbeiter sprangen aus Transportern. Die Männer waren nicht nur mager, sondern unterernährt, manche krank oder lahm, andere sahen aus wie Gangster. Bewaffnete Wachen führten sie in abgesperrte Arbeitsbereiche. Wir versteckten uns hinter einem Betonmischer, bis alle weg waren.
    »Häftlinge«, sagte Leo. »Gefängniswagen mit Nummernschildern der Armee, wahrscheinlich aus dem Knast in Jilava … Sieh mal: gelbe Hose und gelbes Hemd, Nummern auf Brust und Rücken. Zwangsarbeit. Für den Bau dieser Gebäude werden inzwischen nur noch Zwangsarbeiter eingesetzt.«
    »Ich weiß nicht recht«, sagte ich zu Leo, sobald wir wieder im Auto saßen, »welchen Sinn dieses ungemütliche Zwischenspiel hatte.«
    »Du wirst es noch begreifen.« Leo richtete die Spiegel, dann ließ er den Motor an. »Und zwar schon bald.«

ZEHN
    Meine Beziehung mit Cilea war vollkommen ungeregelt: Ich wusste selten, wo sie sich gerade aufhielt, mit wem sie sich traf, ob sie wirklich an der Uni oder nur der Form halber als Musikstudentin eingeschrieben war.
    Die Eifersucht, die durch ihre langen Abwesenheiten ausgelöst wurde und die mich zu immer neuen Phantasien über Untreue und Seitensprünge veranlasste, offenbarte ich nicht. Hätte ich ihr gestanden, dass ich ihr einmal heimlich bis nach Hause gefolgt war und ihre Wohnung beobachtet hatte und dies, weil mir nichts

Weitere Kostenlose Bücher