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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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Verdächtiges aufgefallen war, sowohl beim nächsten als auch beim übernächsten Mal wiederholt hatte, so hätte das nur bedeutet, mich meiner Eifersucht, aber auch ihr zu unterwerfen. Außerdem liegt es im Wesen der Eifersucht, dass man sich unbewusst wünscht, sie möge sich als begründet erweisen. Eine Investition in die Eifersucht gleicht jeder anderen beliebigen Investition: Nach einer Weile möchte man einen Gewinn davon haben.
    Cilea und ich trafen uns nur auf Verabredung. Wenn sie nicht bei mir war, hörte ich nichts von ihr, und ich begegnete ihr nie an einem unserer üblichen Treffpunkte. Manchmal kam ich irgendwo an und hatte plötzlich das überwältigend starke Gefühl, dass sie vor kurzem noch dort gewesen war – dann rannte ich in der Hoffnung auf die Straße, sie oder ihr Auto zu sehen oder (damit wäre ich zufrieden gewesen) einfach ihren Duft zu riechen.
    Eines Tages teilte sie mir mit, dass ihr Vater mich kennenzulernen wünsche. Wünsche : einerseits viel eleganter, andererseits viel autoritärer als das schlichte wolle . Ich war begeistert, weil ich glaubte, dass unsere Beziehung dadurch sozusagen amtlich, dass wir ein echtes Paar werden würden. Wir gingen gemeinsam in Konzerte oder in das Theater, und wenn sie im Sommer im Chor des Atheneums sang, besorgte sie mir einen Platz in der ersten, für Familienangehörige reservierten Reihe. Trotzdem trafen wir uns immer nur auf Verabredung; bei Cilea hereinzuschneien , wäre undenkbar gewesen, und wenn sie nicht bei mir war, hätte ich ebenso gut in einer anderen Stadt leben können, denn ich begegnete weder ihr noch gemeinsamen Freunden (wir hatten sowieso keine). Doch ob Cilea, Trofim, Ionescu oder sogar Leo – ich hatte mich damit abfinden müssen, kaum etwas über andere zu wissen. Bruchstückhaftes Wissen war in diesem Land die Grundvoraussetzung einer jeden Freundschaft.
    »Willst du bei Cognac und Zigarren um die Hand seiner Tochter anhalten?«, spottete Leo, nachdem ich ihm von der baldigen Begegnung mit ihrem Vater erzählt hatte. »Ihm von deinen tollen Karriereaussichten erzählen? Wie hat sie dich genannt? Waise, Aussteiger? Armutstourist im Sabbatjahr ? Mach dir nichts vor: Der Mann weiß genau, wer du bist. Er kennt deine Akte. Er will dir nur klarmachen, dass er dich im Auge behält.«
    Mitte Juni klingelte um vier Uhr früh das Telefon, und ich ging ran, als wäre ein solcher Anruf ganz normal. Im Flur musste ich über den vor der Wohnungstür stehenden Koffer steigen: Im kommenden Monat würde ich meinen ersten »Heimaturlaub« in Großbritannien nehmen, und ich hatte meine paar Sachen schon zehn Tage früher gepackt, um das Unbehagen zu überwinden, das die Aussicht auf die Reise in mir weckte. Der Anrufer, mit schwerem rumänischem Akzent und amerikanischer Intonation, sprach schleppend. Fast alle Rumänen hatten ihr Englisch aus den amerikanischen Polizeiserien der siebziger Jahre aufgeschnappt, und meine Studenten nannten sich gegenseitig »punk« und »dork« und glänzten mit Sätzen wie »This was a decent neighbourhood once«, bevor sie die Feinheiten der alltäglichen Konversation auch nur ansatzweise beherrschten.
    »Hallo … Dr. Belanger?«
    »Nein, tut mir leid.«
    »Darf ich dann fragen, wer dort spricht?«
    »Darf ich das fragen?«
    Keine Antwort. Eine Weile war die Verbindung so still, als würde der Anrufer den Hörer gegen seine Brust pressen oder mit einer Hand zuhalten, um sich mit jemandem zu beraten. Das war ein amateurhafter Moment, denn der Mann wirkte ratlos, obwohl er fast drei Monate damit verbracht hatte, den Mut zum Sprechen zu finden. Ich wusste, dass es der gleiche Anrufer war, denn unser Schweigen war ebenso einzigartig wie bestimmte Tonlagen oder markante Redewendungen. Ich war inzwischen daran gewöhnt, dass er im letzten Moment davor zurückschreckte, etwas zu sagen, kannte das Geräusch seines Einatmens, das leise Pfeifen der Lungen.
    Dann war die Leitung tot. Ich war überrascht, denn wir hatten zum ersten Mal ein paar Worte gewechselt, zuckte aber nur mit den Schultern und kehrte ins Schlafzimmer zurück – immerhin ein kleiner Fortschritt. Ich betrachtete die schlafende Cilea. Sie hatte mir den Rücken zugekehrt, doch ich konnte sie im hohen, an der Wand lehnenden Spiegel sehen. Silbriger Mondschein erhellte das Zimmer, und das von Cilea weggestrampelte Bettzeug glänzte so grau wie Austernschalen. Ich legte mich wieder hin, küsste ihr Kreuz. Sie duftete nach dem Sex, den wir abends gehabt

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