Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)
Besseres.« Er hatte Schaum vor dem Mund, versprühte Speichel im Disco-Licht. Der hinter ihm hockende Nicu Ceaușescu wimmerte gedämpft wie ein Kleinkind und stieß zugleich greuliche Flüche aus.
Cilea suchte ihre Sachen zusammen und ließ sich von Titanu durch die Hintertür des Hotels eskortieren. Beide taten beim Vorbeigehen so, als würden sie mich nicht kennen.
»Junge, Junge! Das steht morgen ganz sicher nicht in der Zeitung.« Leo schüttelte den Kopf. Die Prostituierten ließen ihre mit Zigaretten und Kondomen gefüllten Handtaschen zuschnappen und bezahlten ihre Getränke. Sie wurden nicht mehr gebraucht. Doina die Diva hob den Daumen in Leos Richtung und genehmigte sich an der verwaisten Bar einen großzügig bemessenen Courvoisier. Der Barkeeper stand mit einem Silbertablett vor dem hyperventilierenden Nicu, der aus einer Flasche Johnnie Walker trank, als wäre er halb verdurstet.
Obwohl Nicu ein Idiot, Vergewaltiger und Schikanierer war, wäre so etwas vor zehn, vielleicht sogar fünf Jahren noch undenkbar gewesen. Die Behandlung, die er in dieser Nacht erfahren hatte, zeigte wie ein Barometer an, wie es hinter den Kulissen der rumänischen Politik aussah; sie verriet mehr als Hungerrevolten oder Proteste, in denen die Verzweiflung eines machtlosen Volkes aufblitzte. Was gerade passiert war, stellte die Machtstrukturen auf die Probe. Ich wusste, dass der Serbenchef mit dem stahlharten Blick dies begriff, und der Tsuica trinkende Stoicu hatte es auch kapiert. Er hatte jeden Anschein von guten Manieren fahrenlassen, war nur noch der Pflaumenschnaps saufende Bauer, der wollte, dass das ganze Land wie sein Dorf funktionierte.
Milošević verschwand unauffällig, klopfte beim Gehen mit dem Zimmerschlüssel gegen sein Bein. Er wirkte nach wie vor stocknüchtern, schien gleich wieder an die Arbeit gehen zu wollen, und bestellte an der Rezeption eine Kanne Kaffee. »Zwei Bretter«, auf dessen Stirn sich die Tischkante als roter Streifen abzeichnete, erhob sich schwankend. Er hatte alles verpennt, wäre aber als einziger noch anwesend, wenn die Securitate anrückte, würde dümmlich stotternd versichern, nichts gesehen, nichts gehört zu haben.
»Lass uns gehen.« Leo ergriff meinen Arm, und wir verschwanden durch den Angestellteneingang. In einem der Büros erzählte eine aufgeregte Frau ihren Kollegen, was sich zugetragen hatte. Die Gerüchteküche brodelte. Gegen Morgen hätte die Geschichte die Runde in ganz Bukarest gemacht, die Büros und Fabriken erreicht, die Botschaften und ausländischen Zeitungen.
Da fiel mir Petre ein. Ich sah mich nach ihm um, aber er war schon weg. Ich war erleichtert, denn so konnte ich mir eine Entschuldigung ersparen. Diese wäre allerdings bald fällig – auch gegenüber Cilea. Es war zwar sein Land, aber diese Nacht ging auf meine Kappe.
ZWÖLF
Ich wurde rascher als erwartet in die von Petre und Vintul geplante Schleuseraktion verwickelt. Man hatte mich einbezogen, und nun, eine Woche nach dem Vorfall mit Nicu Ceaușescu, fuhr ich mit Leo zur jugoslawischen Grenze. Petre, Vintul und fünf weitere Männer, die eine andere Route nahmen, wollten sich dort mit uns treffen. Wir hatten einen Halt am Straßenrand eingelegt und Brot, Ziegenkäse und Rucola auf dem Armaturenbrett ausgebreitet. Als Buße für den Abend in der Madonna-Disco fastete Leo. Ich hatte weder Petre noch Cilea seit jener Nacht wiedergesehen. Er war an einem geheimen Ort untergetaucht, und nun folgte er uns in einem geklauten Auto. Immerhin würde ich ihm bald gegenüberstehen. Ich würde ihm alles erklären und mich entschuldigen. Cilea dagegen hatte nie zurückgerufen, und die Wächter vor ihrem Wohnhaus hatten mich nicht durchgelassen. Die Nachrichten, die ich auf ihren Anrufbeantworter sprach, waren sowohl zerknirscht als auch vorwurfsvoll. Sie nahm nur ein einziges Mal ab. Beim Klang meiner Stimme legte sie auf.
Wir fuhren stundenlang durch flaches Ackerland. Es war früh am Abend, und am wolkenlosen Horizont glühte die Sonne. Wir sahen weder Vieh noch andere Tiere. Im Nordosten stieg der Rauch der petrochemischen Fabrik von Craiowa auf. Er löste sich nicht auf, sondern sättigte die Luft, verschmolz mit ihren Molekülen, und dass der Himmel metallisch blau war, lag an dem schmutzigen Dunstschleier. Auch die prächtigen Sonnenuntergänge dieses Sommers verdankten sich der Umweltverschmutzung: Dieselruß, Kohlenstaub … Der Regen blieb aus, und Regenbogen sahen wir nur in den öligen Pfützen,
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