Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)
löste sich Cilea mit einem geübten und kurzen, aber nachdrücklichen Stoß aus seinem Griff und kehrte an ihren Tisch zurück. Er spuckte aus und tanzte ein paar Minuten allein, um sein Gesicht zu wahren, die Hände auf die Eier gelegt.
Milošević kam mit den restlichen Serben herunter, begleitet von Stoicu und Manea Constantin. Die tiefe gegenseitige Abneigung der beiden war unverkennbar. Manea tat so, als müsste er sich mit Halbstarken und Banditen abgeben. Nicht einmal das gnadenloseste System sozialer Gleichmacherei hatte ihm die Allüren der oberen Mittelschicht austreiben können. Neben Stoicu, seinem vierschrötigen Boss mit Boxervisage, wirkte er wie ein Aristokrat. Er verzog beim Eintreten das Gesicht: die grauenhafte Musik, die schwüle Luft, die blitzenden Lichter, das Glitzern. Als er sich umsah, blieb sein Blick an unserem Tisch hängen – an Leo, mir und dem zwischen uns sitzenden Petre, der zusammenzuckte und sich wegdrehte. Ich war inzwischen wieder nüchtern genug, um zu wissen, dass es ein großer Fehler gewesen war, Petre in diese widerwärtige Grotte mitzunehmen.
Stoicu war ganz in seinem Element – überall Dollarscheine, überall eifrige Kellner, jede Menge Johnnie Walker. Er tastete die Körper der an der Bar sitzenden Mädchen mit Blicken ab, machte sich im Geist Notizen für später. Er würde wie fast alle Parteibosse, die abends Termine hatten, im Hotel übernachten; oder er hielt sich für Seitensprünge und zum Ausnüchtern eine Wohnung im Stadtzentrum. Leo nannte solche Wohnungen »Politbüro-Vogelkäfige«. Stoicu ballte die Faust um den Kelch, schüttete den Champagner in sich hinein. Constantin hielt den Kelch, an dem er vornehm nippte, zwischen Daumen und Zeigefinger. Er sagte etwas zu Cilea. Sie überhörte ihn. Er griff nach ihrer Hand. Sie wehrte ihn aggressiv ab. Er stand auf, küsste sie auf die Stirn und ging. Milošević, Oberhaupt der Serben, saß in der Mitte und behielt alles im Blick, ohne den Champagner anzurühren.
»Warum hast du mich mitgenommen?«, fragte Petre. »Das ist die Hölle. Es macht mich krank.« Petre wirkte tatsächlich krank, aber auch verängstigt. Sogar Leo, ein Veteran des Bukarester Nachtlebens, schien dem Abend kaum etwas Amüsantes abgewinnen zu können. »Jede Wette, dass du jetzt doch lieber in das Flugzeug gestiegen wärst«, flüsterte er. Inzwischen war jene späte Stunde angebrochen, in der sich Gruppen, einem primitiven Gesetz der Entropie folgend, gegen sich selbst wendeten, und am Tisch der VIPs wurde »Zwei Bretter« zum Gegenstand immer gröberer Scherze. Man kippte ihm Champagner über den Kopf, schnippte ihm die Asche eines Joints auf Haar und Schultern; er lachte schwach und stoisch – er wusste aus jahrelanger Erfahrung, dass er an dem Humor einer Gruppe bestenfalls als Opfer teilhaben konnte.
Seine Demütigung nahm ein Ende, als ein neuer Gast eintraf, eine wankende, lüsterne Gestalt. Der DJ zog die Stecker aus der Anlage, die Musik verstummte.
Nicu Ceaușescu schwankte in der Tür wie ein Mann am Bug eines sturmgeschüttelten Bootes. Er hatte die Beine gespreizt, um das Gleichgewicht zu halten, seine Züge waren so schlaff, als hätte er seine Begierden ausgiebig gestillt, aber in seinen Augen blitzte schon wieder die Lust auf. Zwei Wächter standen hinter ihm, Parodien westlicher Playboys: offenes Hemd, Goldkettchen, Pierre-Cardin-Hemd, Turnschuhe von Adidas. Hinter den Wächtern warteten drei blutjunge, nervöse Mädchen.
»Scheiße – ich bin jetzt seit acht Jahren hier und musste nie in einem Raum mit diesem Mistkerl sein. Dank dir ist es nun so weit …« Leo leerte sein Glas und schenkte nach.
»Dank mir …?« Ich verstummte und schaute Petre an. Er war entsetzt.
Nicus Begleiterin, eine berühmte Turnerin, hatte vor fünf Jahren bei den Olympischen Spielen in Los Angeles als viel zu junges Wunderkind eine Silbermedaille gewonnen und galt für die nächsten Spiele als Kandidatin für Gold. Damals war sie dreizehn gewesen. Nicu hielt sie im Arm, sah sich im Raum jedoch nach Frischfleisch um. Er führte eine Beziehung mit einer gleichaltrigen Opernsängerin, aber jeder wusste, dass er viel für die Jugend übrig hatte. Die Turnerin, Paulina Iliescu, hatte große, runde Augen; ihr schlanker, durchtrainierter Körper war an diesem Ort des Luxus und der Protzigkeit fehl am Platz. Mit Minirock und Stilettos wirkte sie wie ein Fohlen, das seine ersten, torkelnden Schritte tat. Das tief ausgeschnittene Top betonte
Weitere Kostenlose Bücher