Die Achte Fanfare
was nicht, denn es werden nicht mehr viele Menschen übrig bleiben, die noch was davon mitkriegen. Kommen wir wieder auf das Gleichgewicht zu sprechen.« Er nahm den dünnen Schraubenzieher vom Tisch, den er benutzt hatte, um Kimberlain von den Handschellen zu befreien, legte ihn quer über den Zeigefinger und sah Lisa an. »Der könnte jetzt auf ewig hier liegen, nicht wahr? Warum?«
»Weil er im Gleichgewicht ist«, erwiderte sie.
Seven schob den Schraubenzieher ein Stück zur Seite, und er glitt von seinem Finger und fiel zu Boden. »Und jetzt fällt er runter. Warum?«
»Weil er nicht mehr im Gleichgewicht war.«
Er lächelte sie an, wie ein Lehrer einen Schüler anlächelt, der brav seine Hausaufgaben gemacht hat. »Eine ›Eins plus‹, junge Frau, denn Sie haben gerade beschrieben, was die Spaltung der Antarktis mit dem Gleichgewicht der Erde anrichten wird. Die Stabilität der Erdachse wird königlich aus den Fugen geraten, und unser kleiner Drecksplanet wird wie ein überladenes Boot umkippen. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen, Fährmann, daß die Welt in einen riesigen Swimmingpool verwandelt wird, denn es werden nicht mehr viele übrig bleiben, die einen Kopfsprung wagen könnten.«
»Weiter«, sagte Kimberlain.
»Willst du alles hören?«
»Alles.«
»Hoffentlich hast du einen starken Magen«, murmelte Captain Seven und glitt in seinem Sessel tiefer. »Wie ich schon sagte, das Problem liegt im Gleichgewicht. Ganz ähnlich wie bei meinem Schraubenzieher hier, denn wenn die Erde diese gewaltige Eismasse verliert, wird sie auf eine ähnliche Art umkippen. Wir sprechen hier über etwas, was im allgemeinen und durchaus richtig als ›Polverschiebung‹ bezeichnet wird, bei der alles aus dem Gleichgewicht geworfen wird. Den Naturgewalten gefällt das nicht besonders, und sie wollen ihr Gleichgewicht zurückhaben. Also suchen sie es. Mit Gewalt. Wirbelstürme werden mit fünfzehnhundert Kilometern in der Stunde um den Globus rasen. Flutwellen werden so häufig wie CD-Player. Jeder Vulkan, der noch etwas Leben in sich hat, wird Lava und heiße Asche spucken, wie du es noch nie gesehen hast. Erdbeben werden weite Landmassen aufreißen, andere dafür aber verschlucken, wohl auch diverse, auf denen Atomreaktoren stehen, wobei es dann noch zu einigen hundert Super-GAUs kommen würde. Eine Menge Radioaktivität wird da vom Winde verweht, mein Freund.«
Captain Seven wollte sein Gerät wieder hochheben, mußte jedoch feststellen, daß das Pot ausgegangen war. »Wir sprechen hier über einen Planeten, der in einem überraschend empfindlichen Gleichgewicht zwischen den Polen hängt. Die Achse wird von den gewaltigen Gewichtsmassen oben und unten gebildet. Wenn diese Atombomben also sämtliche Masse im Süden verpuffen lassen, fehlt praktisch ein Aufhängungspunkt. Kapiert?«
»Nur allzu gut.«
»Der Planet würde auf der Suche nach einem neuen Gleichgewicht schwanken. Das tropische Südamerika würde wahrscheinlich den neuen Südpol bilden, und Japan den Nordpol.«
Das brachte Kimberlain auf eine Idee. »Wenn man feststellen kann, wo diese neuen Pole liegen würden, kann man doch auch die Zonen bestimmen, die von dem Polsprung am wenigsten betroffen sein werden?«
»Du meinst, ob jemand, der weiß, was auf ihn zukommt, Zuflucht finden könnte? Theoretisch ja. Aber man kann die Berechnungen nicht überprüfen, also ist da gar nichts sicher.«
Etwas schon, dachte der Fährmann. Die Hashi wollen erben, was von der Erde übrig bleibt, und irgendwie haben sie eine Möglichkeit gefunden, die ersten Auswirkungen der Katastrophe zu überleben.
»Sicher ist nur, daß die, die den Polsprung überleben, sich wünschen werden, ihn nicht überlebt zu haben. Alle Pflanzen – einschließlich sämtlicher Getreidesorten – der alten Welt werden Schwierigkeiten haben, sich in der neuen zurechtzufinden. Die wenigen Überlebenden werden also nicht viel zu essen haben, und da alle wasserhaltigen Gesteine von den Erdbeben zerrissen werden, wird auch eine Menge Trinkwasser verschwinden. Die überirdischen Trinkwasserreservoirs werden durch Gifte und Trümmer heillos verseucht werden. Ja, ich glaube, man könnte sagen, die Welt wird ganz schön im Arsch sein.«
Captain Seven schwieg betroffen und schickte sich an, eine der Kammern seines Geräts mit Pot aufzufüllen. Kimberlain war genauso sprachlos. Der Captain hatte ihnen gerade die Vision eines Verrückten erklärt, die Vision des Jason Benbasset. Er wollte die
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