Die Achte Fanfare
Sie, Boß!« rief der Mann gegen das Dröhnen der Rotoren an.
Torelli schob sich den Kopfhörer über die Ohren und riß ihn kurz darauf wieder herunter. Sein Gesicht war vor Zorn und Entschlossenheit verzerrt.
»Drücken Sie auf die Tube!« befahl er dem Piloten und erklärte seinen Leibwächtern, daß er sie in einen Krieg führte.
Quail hatte gewußt, daß ihm nur sehr wenig Zeit blieb, doch schneller ging es einfach nicht. Das Haus war so groß, hatte so viele Zimmer. Sowohl auf der ersten wie auch auf der zweiten Etage war jede Tür abgeschlossen. Damit hatte er gerechnet, und er wußte, daß es zu viel Zeit kosten würde, alle Türen aufzubrechen.
Doch wie sollte er das richtige Zimmer finden?
Die Antwort kam ihm erst, als er sie sah. In der zweiten Etage entdeckte er auf halber Höhe des Korridors drei tiefe, runde Eindrücke auf dem Teppich, als hätte dort bis vor ein paar Minuten ein Schemel gestanden, auf dem ein Mann mit beträchtlichem Gewicht gesessen hatte. Quail lächelte. Es war klug von der Frau gewesen, den Stuhl zu entfernen, doch damit hatte sie auch verraten, daß sie sich allein in dem Zimmer befand.
Die Vorfreude, die Frau zu töten, ihr das noch schlagende Herz aus der Brust zu reißen, erfüllte Quail mit neuer Kraft, und er warf sich gegen die Tür.
Lisa nahm nur einen Umriß wahr, als die Gestalt durch die Tür brach. Sie achtete weder auf ihre wahre Größe noch auf ihr Gesicht, sondern nur auf das, worauf sie mit der Dose Lysol zielen wollte – die Augen. In dem Augenblick, in dem der Mann sie bemerkte, drückte sie gleichzeitig auf das Feuerzeug und auf die Spraydose.
Perfekt.
Sie hörte, wie sie aufschrie, als sich der Lysolstrahl entzündete und auf das Gesicht der Gestalt zuschoß. Die Flammen erhellten es kurz, bevor sie es erreichten, und sie stellte fest, daß es seltsamerweise gar nicht wie ein Gesicht aussah. Schlimmer noch, sie hatte die unglaubliche Größe der Gestalt unterschätzt, und so verfehlten die Flammen seine Augen und trafen lediglich Nase und Mund.
Quail schrie vor Schreck und Schmerz auf, als die Flammen ihn einhüllten. Mit dem blaugelben Blitz kehrten Erinnerungen an den Anfang zurück, an die Nacht, in der die Flammen ihn in ihrer Wut verschlungen hatten und sein neues Ich geboren worden war. Doch nichts konnte sein neues Ich nun aufhalten, nicht einmal Flammen, und so warf er sich in den Feuerstrom, anstatt vor ihm zurückzuprallen, und schlug mit den Armen danach, als könne er ihn so löschen.
Lisa sah, wie ein Arm wie ein Dreschflegel auf sie zuschoß, zuckte zurück und ließ unwillkürlich das Feuerzeug los. Aus der Dose sprühte nur noch reines Lysol. Zwei Pranken in schwarzen Handschuhen griffen nach ihr, und sie ließ auch die Dose mit dem Desinfektionsmittel fallen und wich zu der Stehlampe zurück, auf der der erste Becher mit dem flüssigen Drano stand. Ihre Augen brannten schon von den zischenden Dämpfen, und sie schüttete der Gestalt das Abflußfrei ins Gesicht.
Dieses Gesicht … mit diesem Gesicht stimmte irgend etwas ganz und gar nicht.
Ein Teil des Becherinhalts verfehlte die Gestalt in Schwarz, doch genug davon traf sein Gesicht, um ihr einen weiteren Schrei zu entlocken. Gleichzeitig riß der Mann die Hände vors Gesicht.
Ich habe es geschafft! dachte Lisa und lief an ihm vorbei zur Tür. Sie spürte, daß er der einzige Angreifer war, daß er allein alle um sie herum postierten Wachen getötet oder kampfunfähig gemacht hatte.
Doch der Mann streckte eine Hand aus und bekam Lisa zu fassen, bevor sie den Gang erreichte. Kein harter Griff, doch fest genug, um sie ins Zimmer zurückzuzerren und gegen die Wand zu schleudern, dessen Fenster sie geöffnet hatte, damit ein paar der übelkeiterregenden Abflußfrei-Dämpfe entweichen konnten. Sie starrte in ein schreckliches Antlitz empor – es sah aus, als hingen weiße Latex-Streifen von dem Gesicht des Ungetüms hinab. Sie wußte nun, daß das Drano eine Maske und nicht das Gesicht verätzt hatte, und was unter dem Latex lag, war … einfach fürchterlich.
In der Dunkelheit, die nur von dem Licht erhellt wurde, das durch ihr Fenster fiel, konnte Lisa sehen, daß das Ungetüm kein Gesicht hatte, nur Augen in einem abscheulichen, schrecklichen Etwas. Sie war dankbar, daß die Dunkelheit sie vor dem Anblick bewahrte, konnte aber nicht verhindern, daß ein abgrundtiefer Schrei aus ihrer Kehle drang. Trotz ihres Entsetzens fand sie den zweiten Becher Abflußfrei und schleuderte
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