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Die achte Karte

Die achte Karte

Titel: Die achte Karte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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Soldaten in kurzen roten Jacken und Goldhelmen, ihre Gewehre auf die Protestler gerichtet, und hofften auf den Schießbefehl.
    »Es sind so viele«, rief Léonie.
    Anatole antwortete nicht und zog sie durch die Menge vor der barocken Fassade des Palais Garnier. Er kam an eine Ecke und bog scharf nach rechts auf die Rue Scribe, um aus der direkten Schusslinie rauszukommen. Sie hielten einander an der Hand, die Finger fest verschränkt, um nicht voneinander getrennt zu werden, als sie fast einen Häuserblock weit von Menschenmassen mitgerissen wurden, hin und her geworfen und gestoßen wie Treibgut auf einem schnell fließenden Fluss.
    Aber eine Weile fühlte Léonie sich sicher. Anatole war bei ihr.
    Dann das Geräusch eines einzelnen Gewehrschusses vom Fluss her. Einen Moment lang geriet die Menschenflut ins Stocken und setzte sich dann wieder geschlossen in Bewegung. Léonie spürte, wie sich ihre Schuhe von den Füßen lösten, und nahm plötzlich wahr, dass Männerschuhe an ihren Knöcheln entlangschrammten, auf den zerfetzten und über die Straße schleifenden Saum ihres Kleides traten. Eine Feuersalve krachte hinter ihr. Der einzige fixe Punkt war Anatoles Hand.
    »Nicht loslassen«, schrie sie.
    Hinter ihnen zerriss eine Explosion die Luft. Das Pflaster erbebte. Léonie drehte sich halb um, sah, wie vom Place de l’Opéra staubige, dreckige Rauchpilze grau in den Stadthimmel stiegen. Dann spürte sie eine zweite Detonation durchs Pflaster vibrieren. Die Luft um sie herum schien sich zunächst zu verdichten und dann in sich zusammenzufallen.
    »Des canons! Ils tirent!«
    »Non, non, c’est des pétards!«
    Léonie schrie auf und packte Anatoles Hand noch fester. Sie stürzten weiter, immer weiter, ohne ein Gefühl für die Richtung, ohne Zeitgefühl, nur von einem animalischen Instinkt getrieben, der ihr sagte, erst dann stehen zu bleiben, wenn der Lärm und das Blut und der Staub weit hinter ihnen lagen.
    Léonie wurden die Beine schwer, weil ihre Kräfte nachließen, aber sie rannte und rannte, bis sie nicht mehr konnte. Ganz allmählich verlief sich die Menschenmenge, und schließlich gelangten sie in eine ruhige Straße, weit weg von den Kämpfen, den Explosionen und Gewehrläufen. Léonie zitterten die Beine vor Erschöpfung, ihr Gesicht war gerötet und feucht von der Nachtluft.
    Als sie stehen blieben, hob Léonie die Hand und stützte sich an einer Mauer ab. Ihr Herz pochte fieberhaft. Das Blut hämmerte ihr in den Ohren, wuchtig und laut.
    Anatole lehnte sich mit dem Rücken gegen die Mauer. Léonie ließ sich gegen ihn sinken, ihre kupferroten Locken fielen ihr wie ein Strang Seide über den Rücken, und sie spürte, wie er beschützend den Arm um sie legte.
    Sie sog die Nachtluft ein, versuchte, wieder zu Atem zu kommen, während sie die schmutzigen Handschuhe auszog, verdreckt von Ruß und den Pariser Straßen, und sie aufs Pflaster fallen ließ.
    Anatole fuhr sich mit den Fingern durch das volle schwarze Haar, das ihm über die hohe Stirn und die markanten Wangenknochen gefallen war. Auch er war außer Atem, trotz der Stunden, die er in den Fechthallen verbrachte.
    Merkwürdigerweise schien er zu lächeln.
    Eine Weile sagte keiner von beiden ein Wort. Das einzige Geräusch war ihr keuchender Atem, der als weiße Wölkchen in den kühlen Septemberabend stieg. Endlich richtete Léonie sich auf.
    »Wieso bist du zu spät gekommen?«, wollte sie von ihm wissen, als wären die Ereignisse der letzten Stunde nie geschehen.
    Anatole starrte sie fassungslos an; dann begann er zu lachen, zuerst leise, dann lauter, und sein Gelächter füllte die Luft, während er zu sprechen versuchte.
    »Du schimpfst mit mir,
petite,
selbst in so einem Moment?«
    Léonie fixierte ihn mit einem strengen Blick, merkte aber bald, wie ihr selbst die Mundwinkel zuckten. Ein Kichern brach aus ihr heraus, dann noch einmal, bis ihre schlanke Gestalt vor Lachen bebte und ihr Tränen über die verschmierten, hübschen Wangen strömten.
    Anatole zog sein Abendjackett aus und legte es ihr um die nackten Schultern. »Du bist wirklich ein ungewöhnliches Geschöpf«, sagte er. »Überaus ungewöhnlich!«
    Léonie lächelte kläglich, als sie ihren mitgenommenen Zustand mit seiner Eleganz verglich. Sie sah an ihrem zerfetzten grünen Kleid hinab. Der Saum hing lose wie eine Schleppe hinter ihr, und die übriggebliebenen Glasperlen waren angeschlagen und baumelten nur noch an einem Faden.
    Trotz ihrer kopflosen Flucht durch die Straßen

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