Die achte Offenbarung
zu identifizieren. Er hatteauch die Todesanzeigen für ihre Mutter gefunden und danach besser zu verstehen geglaubt, was in Meles Innerem vorging.
Er versuchte vergeblich, wieder einzuschlafen. Schließlich gab er es auf und machte sich auf den Weg nach Düsseldorf. Meles Elternhaus erreichte er gegen halb sieben morgens. Sofort erkannte er den Mietwagen wieder, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkte. Er hatte sie gefunden!
Doch was nun? Es war noch viel zu früh, um jetzt einfach an der Haustür zu klingeln und sich zu entschuldigen. Er überlegte, ob er irgendwo Blumen kaufen sollte, entschied sich jedoch dagegen – etwas so Spießiges passte einfach nicht zu ihm. Also blieb er im Auto sitzen und wartete. Er hatte einen schlechten Geschmack im Mund und suchte im Handschuhfach nach einer Packung des zuckerfreien Kaugummis, das seine Schwester immer kaute. Dabei fand er eine kleine Spraydose mit Reizgas, die sie offenbar aus Furcht vor einem Überfall dort deponiert hatte. Einem Impuls folgend, steckte er sie ein.
Im Radio brachten sie einen Bericht über einen Terroranschlag in Lourdes, dem Dirk jedoch nicht allzu viel Bedeutung beimaß. Terror war inzwischen so alltäglich, dass man die Nachrichten darüber kaum noch zur Kenntnis nahm, wenn der Anschlag nicht in unmittelbarer Nachbarschaft geschah.
Um kurz nach neun stieg er aus. Er wusste immer noch nicht genau, was er Mele sagen sollte – er hatte sich hundert Eröffnungssätze ausgedacht und sie alle wieder verworfen –, aber er musste sie wenigstens sehen, und wenn es nur kurz war.
Als Mele ihren Vater anwies, ihn hereinzulassen, fühlte er eine Welle der Erleichterung. Sie war sogar bereit, ihmzu verzeihen! Am liebsten hätte er sie vor Dankbarkeit umarmt. Doch dann mischte sich Paulus ein.
Als Mele ihn aufforderte zu gehen, zerbrach etwas in Dirk. Er wusste in diesem Moment, dass es nicht mehr darum ging, sein Verhältnis zu Mele zu reparieren. Dazu war es längst zu spät. Es ging nur noch darum, das Unheil zu verhindern, das von diesem verdammten Manuskript ausging.
Was als Nächstes geschah, erlebte Dirk beinahe wie einen Kinofilm. Es war, als sei es nicht er selbst, der die kleine Sprühflasche mit dem Reizgas aus der Tasche zog und Paulus ins Gesicht drückte. Als lenke ihn eine fremde Macht, sah er sich dabei zu, wie er nach dem Manuskript griff, Mele beiseitestieß, ihren protestierenden Vater ignorierte und aus dem Haus stürmte.
Erst als er mit Frederikes Golf um die nächste Ecke bog, wurde er wieder Herr seiner Sinne. Er war gleichzeitig erschrocken und stolz auf sich. Zwar hatte er Mele nun endgültig verloren, aber wenigstens hatte er das Manuskript. Und er hatte den beiden gezeigt, dass sie ihn nicht einfach herumschubsen konnten!
Vielleicht würde ihn die Veröffentlichung im Internet berühmt machen. Vielleicht …
Die Illusion war zerstoben, als der dunkle BMW plötzlich dicht hinter ihm aus einer Seitenstraße schoss. Sie mussten irgendeine Abkürzung genommen haben, während Dirk einfach den Schildern zur Autobahn gefolgt war.
Nun klebten sie an seiner Stoßstange, und er hatte keine Ahnung, wie er sie wieder loswerden sollte.
38.
Autobahn 44 nahe Soest, Samstag 10:15 Uhr
Paulus fuhr so dicht hinter Dirk, dass er dessen Augen im Rückspiegel des Golf erkennen konnte. Sie waren starr geradeaus gerichtet.
Zum hundertsten Mal betätigte er die Lichthupe – ohne Effekt. Mele versuchte es mit Gestikulieren, aber auch das brachte natürlich nichts. Sein Handy hatte der Student vermutlich stumm geschaltet.
Sie näherten sich einer Ausfahrt: Soest. Dirk fuhr mit Vollgas weiter, doch plötzlich, im allerletzten Moment, machte er einen scharfen Schlenker und fuhr rechts ab.
Paulus hatte mit einem solchen Manöver gerechnet, das man in jedem amerikanischen Krimi zu sehen bekam, und war bis jetzt bei jeder Ausfahrt auf der Hut gewesen. Trotzdem reagierte er einen Sekundenbruchteil zu spät. Er riss das Steuer herum und schaffte es gerade noch, den BMW auf den Abbiegestreifen zu lenken, streifte jedoch dabei die Leitplanke, die die Abbiegespur von der Hauptspur trennte. Paulus ignorierte das schreckliche Knirschen des Kotflügels und fuhr weiter, froh, dass er am Mietwagenschalter den Vollkasko-Versicherungsschutz mit geringer Selbstbeteiligung gewählt hatte.
Durch den Aufprall hatte er an Geschwindigkeit verloren. Dirk war hinter der Biegung der Abfahrt aus seinem Blickfeld verschwunden.
Als Paulus das Ende der
Weitere Kostenlose Bücher