Die achte Offenbarung
hatte. Dann verzerrte sich sein Gesicht wie von starken Schmerzen. »Ihr dämlichen bornierten Idioten!«, schrie er. »Ich werde nicht zulassen, dass ihr die Sache vermasselt!«
Er griff in die Hosentasche und hielt etwas vor Paulus’ Gesicht. Im nächsten Moment ertönte ein leises Zischen, dann spürte Paulus ein schreckliches Brennen in den Augen.
»Verdammt! Was …«
Er konnte nichts mehr sehen. Er tastete nach dem Manuskript, doch es war nicht mehr da, wo es eben noch gelegen hatte. Er hörte Mele aufschreien, dann einen dumpfen Schlag, ein Stöhnen, vermutlich von Meles Vater. Die Küchentür wurde zugeschlagen.
»Dirk! Du verdammtes Arschloch! Bleib hier!«, schrie Mele. Dann klappte die Haustür.
Paulus musste dieses verdammte Brennen loswerden! Er versuchte sich an den Grundriss der Küche zu erinnern. Er stolperte über einen Stuhl, schaffte es jedoch, sich zur Spüle zu tasten, wo er seine Augen mit Wasser ausspülte.Sie brannten immer noch, aber wenigstens konnte er jetzt wieder etwas sehen.
Er stürmte zur Haustür. Mele stand auf der Straße und warf verzweifelt die Arme in die Luft. Er sah einen silberfarbenen Golf die Straße entlangrasen und hinter einer Biegung verschwinden.
Ohne nachzudenken, rannte er zu ihrem Mietwagen, der auf der anderen Straßenseite parkte. »Los, komm! Wir müssen ihn erwischen!«
Mele sprang auf den Beifahrersitz. Sie mussten den Wagen erst wenden, was sie wertvolle Sekunden kostete. Dirk war längst außer Sichtweite.
»Er fährt bestimmt zur Autobahn«, sagte Mele. »Ich kenne eine Abkürzung.« Sie dirigierte Paulus durch mehrere kleine Seitenstraßen. Paulus raste durch das Wohngebiet und hoffte, dass ihm nicht irgendwelche Kinder in den Weg sprangen. Durch seine immer noch tränenden Augen konnte er kaum etwas erkennen.
»Dieser verdammte Mistkerl!«, fluchte Mele. »Ich bin ja so blöd gewesen!« Plötzlich schluchzte sie. »Wenn … wenn wir das Buch nicht zurückbekommen … wenn ich schuld bin, dass …«
»Beruhige dich«, sagte Paulus. »Wir kriegen ihn schon noch!« Er gab Gas.
»Da vorne links«, wies ihn Mele an.
Paulus folgte der Abbiegung und erreichte kurz darauf die Einmündung in eine Schnellstraße, die zur Autobahn führte. Der silbergraue Golf raste genau in diesem Moment an ihnen vorbei.
»Da ist er!«, rief Mele. »Gib Gas!«
Paulus achtete nicht auf den Verkehr. Er nahm einem LKW die Vorfahrt, der dies mit einem dröhnenden, langgezogenen Hupen quittierte, und jagte hinter Dirk her.
Der Golf bog auf die Autobahn Richtung Osten ein. Paulus blieb dicht hinter ihm.
Kurz darauf überquerten sie den Rhein. Dirk bog auf die A 52 Richtung Norden ab.
Paulus blickte auf das Armaturenbrett. Er konnte Dirk nicht stoppen. Die einzige Möglichkeit war es, an ihm dranzubleiben, bis er irgendwann anhielt. Und das würde er vermutlich erst tun, wenn es nicht mehr anders ging.
Es kam jetzt darauf an, wessen Auto die größere Reichweite hatte. Leider war der Tank ihres Mietwagens nicht einmal mehr halb voll.
37.
Autobahn 44 nahe Unna, Samstag 10:06 Uhr
Dirks Herz schlug bis zum Hals. Er blickte in den Rückspiegel. Paulus fuhr dicht hinter ihm. Immer wieder betätigte er die Lichthupe.
Dirk war klar, dass er die beiden mit dem klapprigen Golf, den Frederike ihm geliehen hatte, kaum abhängen konnte. Aber er war auch nicht bereit, einfach aufzugeben.
Mele war natürlich nicht in der WG gewesen, als er gestern dort ankam. Er hatte immer wieder versucht, sie zu erreichen, doch Paulus war nicht an sein Handy gegangen und hatte auch auf die Nachricht auf der Mailbox nicht reagiert. Frustriert und voller Selbstvorwürfe war er irgendwann zu Bett gegangen.
Mitten in der Nacht schreckte er aus dem Schlaf. Plötzlich hatte er die Idee, wo er Mele möglicherweise finden würde. Es war nur eine winzige Chance, aber einen Versuch wert. Und selbst wenn sie nicht dort war, konnte ihr Vater ihm vielleicht weitere Hinweise geben.
Die Adresse von Meles Elternhaus kannte Dirk schon lange. Nachdem Mele in ihre WG gezogen war, hatte er ein bisschen über sie gegoogelt. Ihm war ziemlich schnell klar geworden, dass sie eine verwöhnte Göre aus einem reichen Elternhaus war, der das Spießerdasein zu langweilig geworden war und die deshalb ein abenteuerliches Leben für sich erfand. Er hatte im Internet die Schulen ausfindig gemacht, auf die sie gegangen war. Danach war es ein Leichtes gewesen, unter den vielen Kallens, die es in Deutschland gab, ihren Vater
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