Die Achte Suende
natürlich nicht zulassen.«
Lange hatte Anicet, entgegen sonstiger Gewohnheit, geschwiegen. Schließlich sagte er: »Dann haben
Sie
Brandgesicht …«
»Wo denken Sie hin!«, fiel ihm Soffici ins Wort, »das war ein – Betriebsunfall sozusagen.«
Anicet hob die Schultern. Die Mitteilung berührte ihn nicht. Plötzlich schien er aufgeregt: »Haben Sie das Objekt bei sich?« Er sah Soffici fordernd an.
Über das Gesicht des Monsignore huschte ein arrogantes Lächeln. Er wusste, dass die Frage kommen würde, und er kostete jede Sekunde aus. Nun war
er
der Überlegene, und ihm schien es, als würde sein Gegenüber hinter dem Schreibtisch immer kleiner.
»Wo denken Sie hin«, erwiderte er schließlich, »ich habe für alle Eventualitäten Vorsorge getroffen.«
»Ich verstehe nicht. Was soll das heißen?«
»Glauben Sie ernsthaft, ich trüge das kostbare Objekt in der Tasche mit mir herum? Wir haben doch bei Brandgesicht gesehen, wohin das führen kann.«
»Ich verstehe.« Anicet fand immer mehr Bewunderung für den unterschätzten Monsignore. Er erwartete keine Antwort, trotzdem stellte er die Frage: »Und wo befindet sich das Objekt jetzt?«
»Sie dürfen fragen, erwarten Sie jedoch nicht, dass
ich
Ihnen darauf antworte. Aber wenn ich Ihnen eine Frage stellen darf: Warum ist dieses winzige Objekt für Sie von so großer Bedeutung, wo es sich doch nur um einen Bruchteil des Grabtuches handelt, das ohnehin in Ihrem Besitz ist?«
Anicet verzog das Gesicht, als bereite ihm die Frage Schmerzen. »Das, Monsignore, kann ich Ihnen nicht sagen. Die Antwort würde Sie, die Mutter Kirche und eine Milliarde ihrer Anhänger in Ratlosigkeit und Verzweiflung stürzen. Es ist die Bestimmung der Fideles Fidei Flagrantes, Dinge zu wissen, die der Welt unbekannt sind. Sie verstehen?«
Eine Weile saßen sich die beiden schweigend gegenüber. Soffici machte sich Gedanken über Anicets große Worte. Und Anicet überlegte, wie er diesem niederträchtigen Monsignore beikommen konnte.
»Haben Sie überhaupt einen Beweis für die Echtheit Ihres Objekts? Sie können mir nichts vormachen. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie solche Dinge gefälscht werden.«
Mit provozierender Gelassenheit zog Giancarlo Soffici den Umschlag mit den Röntgenaufnahmen aus der Jackentasche und reichte sie Anicet über den Schreibtisch.
Anicet hatte sich viel zu lange mit dem Turiner Grabtuch beschäftigt, um den Echtheitsbeweis nicht sofort zu erkennen. Immer wieder hielt er die beiden Negative gegen das Licht, das spärlich durch die Scheiben drang, legte sie übereinander und betrachtete sie mit zusammengekniffenen Augen.
»Gratuliere«, meinte er schließlich. »Wirklich perfekte Arbeit!«
»Um bei der Wahrheit zu bleiben«, entgegnete der Monsignore, »das war Brandgesichts Verdienst, nicht meines.«
Anicet schien es zu überhören. Jedenfalls tat er so. Nach einer langen Pause des Nachdenkens räusperte er sich umständlich, dann begann er erneut: »Wollen Sie mir nicht endlich verraten, wo Sie das kostbare Objekt versteckt halten?«
»Nein, das werde ich nicht tun«, erwiderte Soffici mit einem Unterton der Entrüstung. »Es ist
meine
Bestimmung, Dinge zu wissen, die der Welt unbekannt sind. Sie verstehen.«
Nach außen gab sich Anicet gelassen, aber innerlich schäumte er vor Wut. Keiner von seiner Bruderschaft, nicht einmal Professor Murath hätte je gewagt, so mit ihm umzuspringen. Man sollte den Kerl umbringen, ging es ihm durch den Kopf, ihn von der höchsten Stelle des Burgfrieds stürzen. Aber der Gedanke, dass das Objekt dann vielleicht ein für alle Mal verloren wäre, zügelte seine Wut.
»Also gut, Monsignore, reden wir über Geld. Denn das ist ja wohl der Grund, warum Sie sich in der Angelegenheit so engagieren.«
»Ja«, erwiderte Soffici mit entwaffnender Offenheit. »Sie müssen wissen, ich kehre nicht mehr in den Vatikan zurück. Ich habe mich entschlossen, den Talar gegen einen Anzug von Cardin zu vertauschen.«
»Ach, so ist das.«
»Ja, so ist das. Ich habe bereits Kontakte nach Südamerika geknüpft. In Chile und Argentinien gibt es luxuriöse Wohngemeinschaften für Leute, die den Talar oder die Kutte an den Nagel gehängt haben. Leider ist das Leben in diesen Aussteiger-Hotels nicht ganz billig. Aber wem sage ich das!«
»Also wie viel?« Anicet rümpfte die Nase.
»Sagen wir …« – Soffici blickte zur Decke, als erschiene dort ein Menetekel wie beim Gastmahl des babylonischen Königs Belsazar, »eine halbe
Weitere Kostenlose Bücher