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Die Achte Suende

Die Achte Suende

Titel: Die Achte Suende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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schmalschultrig, den Kopf nach vorne gestreckt und mit einem grauen Gehrock bekleidet, durchgeknöpft bis zum Hals wie ein Schulmeister des neunzehnten Jahrhunderts. Seine ganze Erscheinung wirkte wie aus einer anderen Zeit. Aber das war Soffici aus dem Vatikan gewohnt.
    »Ich bin wirklich gespannt, was mir dieser Gonzaga mitzuteilen hat.« Anicet trat dem Besucher entgegen, ohne ihm die Hand zu reichen.
    »Gonzaga?«, erwiderte Soffici fragend. »Ich komme nicht im Auftrag des Kardinalstaatssekretärs, ich komme aus eigenem Antrieb und aus freien Stücken. Es geht um das Tuch von Turin.«
    Da verfinsterte sich das bleiche Gesicht Anicets von einem Augenblick auf den anderen. Er lief dunkelrot an, und drohend stieß er hervor: »Gonzaga hat uns betrogen. Aber ich werde es ihm heimzahlen, sagen Sie ihm das!«
    »Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf«, holte Soffici aus, «ich bin durchaus der Ansicht, dass Kardinal Gonzaga Ihnen das Original des Grabtuches unseres Herrn Jesus überbracht hat. Er hat mehr Angst davor, Sie zu betrügen, als Sie glauben. Gonzaga fürchtet um seine Stellung als Kardinalstaatssekretär. Und im Übrigen hat er die Hoffnung, Papst zu werden, noch nicht ganz aufgegeben. Karrierestreben macht auch vor vatikanischen Mauern nicht halt. Aber wem sage ich das!«
    Anicet warf den Kopf in den Nacken – was ihm sichtlich schwerfiel – und blickte im Burghof nach oben, ob niemand ihr Gespräch belauscht hatte. Dann schob er Soffici durch die enge spitzbogige Tür, und mit einer Handbewegung in Richtung der steilen Treppe, die sich vor dem Besucher auftat, sagte er: »Kommen Sie!«
    Die Treppe führte geradewegs in Anicets Arbeitszimmer. Durch die Butzenscheiben des einzigen Fensters fiel nur fahles Tageslicht. Die Einrichtung wirkte spartanisch. Ein breiter, knorriger Holztisch, wie er in Klöstern als Refektoriumstisch Verwendung findet, nahm die dem Fenster gegenüberliegende Seite ein. Die übrigen Wände wurden vom Boden bis zur Decke mit Regalen ausgefüllt, in denen Hunderte von Büchern und Akten gestapelt lagen. Beim Anblick dieses Chaos fragte sich Soffici, wie es möglich sein sollte, hier irgendetwas zu finden.
    »Also, was wollen Sie?«, wiederholte Anicet kurz angebunden und wies dem unliebsamen Besucher mit einer Handbewegung einen unbequemen Stuhl mit kantiger Lehne zu.
    »In meinem Besitz«, begann Soffici, nachdem er Platz genommen hatte, »befindet sich ein winziges Objekt, mit dessen Hilfe es möglich ist, die Echtheit des Turiner Tuches zu beweisen. Jenes Tuches, das Sie hier auf Burg Layenfels aufbewahren.«
    »Sie meinen die Fehlstelle, die damals von dem Gauner herausgeschnitten wurde?« Mit hämischem Grinsen lugte Anicet hinter seinem Schreibtisch hervor. Er schüttelte den Kopf und stöhnte: »Dieser Gonzaga! Ein Teufel in Purpur.«
    »Gonzaga hat damit nicht das Geringste zu tun«, erwiderte Soffici kühl. »Er weiß nicht einmal, dass ich hier bin. Offiziell gelte ich seit meiner Entführung noch immer als verschollen.«
    »Und Ihre vornehme Limousine?«
    »Der Dienstwagen des Kardinalstaatssekretärs! In gewissen Kreisen ist es ein Kinderspiel,
ein
Autokennzeichen gegen ein anderes auszutauschen.«
    Bei Anicet kam der Gedanke auf, dass er diesen Soffici unterschätzt hatte. »Sie behaupten also allen Ernstes,
Sie
hätten die Stoffprobe aus dem Turiner Tuch.«
    »So ist es.«
    In Anicets Gesicht machte sich erneut ein hämisches Grinsen breit. »Zu dumm, dass Brandgesicht dasselbe behauptet.«
    »Brandgesicht ist tot. Seine Leiche trieb mit dem Kopf nach unten in der Fontana di Trevi.«
    Anicet schluckte. Man sah, dass es in seinem Kopf arbeitete. Als wollte er gewisse Dinge aus seinem Gedächtnis streichen, wischte er sich mit der Hand über das Gesicht. »Ist das wahr?«, fragte er verunsichert.
    Auf diese Frage war Soffici vorbereitet. Er zog einen Zeitungsausschnitt aus der Jacke und hielt ihn dem Oberhaupt der Bruderschaft vor die Nase.
    Der warf einen Blick auf das Papier und nickte. »Wieder ein Gauner weniger auf dieser Welt«, bemerkte er sarkastisch. »Um ihn ist es nicht schade.« Die Kälte seiner Worte wurde nur noch durch die klamme Atmosphäre des düsteren Raumes übertroffen.
    »Vielleicht glauben Sie mir jetzt«, sagte Soffici. »Dieser Brandgesicht war ein Gangster. Er führte auch anderweitig Verhandlungen über den Verkauf der Stoffprobe. Mich wollte er dabei ausbooten. Und das, nachdem ich die ganze Vorarbeit geleistet hatte. Das konnte ich

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