Die Achte Suende
Caterina in ganz anderer Erinnerung, lässig, um nicht zu sagen nachlässig gekleidet, mit einer praktischen Zopffrisur und ohne jedes Make-up. Völlig unerwartet trat sie ihm in einem kurzen Rock und weißer Bluse mit Carmen-Ausschnitt gegenüber. Ihre Haare trug sie offen, und die Lippen waren dezent geschminkt. Anders als bei ihrer ersten Begegnung, bei der ihr Redefluss kaum zu bremsen gewesen war, machte Caterina jetzt einen geradezu geknickten Eindruck. Sie sprach betont langsam, ja bedächtig, vor allem aber leise, wobei sie um sich blickte, ob niemand in dem nur zur Hälfte besetzten Lokal ihr Gespräch belauschte. Jedenfalls hatte Malberg diesen Eindruck.
»Die Geschichte mit Marlene stinkt«, begann sie leise, »sie stinkt sogar gewaltig.« Dabei schob sie Malberg eine Fotokopie über den Tisch.
»Was ist das?«
»Das Obduktionsergebnis des Gerichtsmedizinischen Instituts der Universität Rom. Der zuständige Pathologe, ein Dottor Martino Weber, stellte Hämatome am Hinterkopf fest. Außerdem ein gebrochenes Nasenbein, Fehlstellen in den Haaren und Reste eines Sedativums im Blut. Unter den Fingernägeln fand Weber Hautspuren, die auf einen Kampf hinweisen.«
Malberg nickte stumm. Während Caterina redete, tauchte vor seinen Augen das Bild Marlenes auf, ihr unter Wasser treibender nackter Körper. Er holte tief Luft, als wollte er Anlauf nehmen zu der Erklärung, das alles decke sich nur mit dem, was er mit eigenen Augen gesehen habe. Aber dann zog er es vor zu schweigen.
»Und trotzdem wurden die Ermittlungen eingestellt!«, fuhr Caterina fort. »Begreifen Sie das, Signore?«
Malberg und die aufgebrachte Reporterin bestellten Pasta und einen Vino della Casa. Caterina wartete auf eine Antwort. Aber Malberg schwieg beharrlich. Die beiden Männer im Treppenhaus! Denn dass es zwischen Marlene und der Marchesa zu einem derartigen Zerwürfnis gekommen war, hielt er für ausgeschlossen. Dass die beiden in einer ganz besonderen Beziehung standen, nicht. Von Lorenza Falconieri ging eine Kühle aus, die auf Männer wie auf Frauen anziehend wirkte. Er hatte Marlene Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Was wusste er schon über sie? In all den Jahren war sie offenbar eine andere geworden. Aber was in aller Welt hinderte die Ermittler, den Mord an Marlene aufzuklären? Warum war das Verfahren eingestellt worden?
Während er lustlos in seiner Pasta herumstocherte, fühlte sich Malberg von der Reporterin beobachtet. Er spürte förmlich ihren prüfenden Blick. Malberg war sich sicher, dass Caterina Lima mehr wusste als sie preisgab. Kein Zweifel, sie misstraute ihm.
Gerade wollte er ihr die Wahrheit erzählen, wollte offenlegen, dass
er
den Mord entdeckt hatte, da kam ihm Caterina Lima zuvor: »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Eigentlich dürfte ich mich mit Ihnen gar nicht mehr treffen.«
»Was soll das heißen? Ich denke, Sie recherchieren in dem Fall.«
»Ja. Bis gestern. Gestern hat man mir die Geschichte auf sehr unfeine Art entzogen. Nach der Redaktionskonferenz um elf ließ mich Bruno Bafile, mein Chefredakteur, kommen und eröffnete mir, ich sei mit sofortiger Wirkung von meinen Aufgaben als Polizeireporterin entbunden und dem Ressort ›Buntes‹ zugeteilt. Die Story ›Marlene Ammer‹ sei gestorben.«
»Gestorben?«
»So sagt man in der Journaille, wenn die Recherchen eingestellt werden.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich auch nicht, Signore.«
»Ist so etwas denn üblich?«
»Ja natürlich, wenn eine Story aufgrund der Recherchen nichts mehr hergibt, wenn sich zum Beispiel herausstellt, dass ein Mord kein Mord, sondern ein Unfall gewesen ist, wie er tausendmal vorkommt, dann hört man auf weiter nachzuforschen und wendet sich einem anderen Fall zu.«
»Aber es war kein Unfall! Es war Mord!«
»Das glauben Sie, und ich weiß es. Umso rätselhafter erscheint mir meine Versetzung in ein anderes Ressort. Mir kommt es so vor, als habe man mich abgeschoben, damit ich keinen Schaden anrichten kann. Aber das macht die Geschichte nur noch interessanter.«
»Und was wollen Sie jetzt tun?«
»Ich bleibe dran an der Story, nicht offiziell, versteht sich. Als Polizeireporterin habe ich mir so gute Kontakte geschaffen, es wäre töricht, sie aufzugeben. Für Storys, die unter ›Buntes‹ laufen, habe ich wirklich kein Interesse. Was interessiert mich, ob Gina Lollobrigida einen dreißig Jahre jüngeren Lover oder Mario Andretti zehn uneheliche Töchter hat? Mich faszinieren die Abgründe des
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