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Die Achte Suende

Die Achte Suende

Titel: Die Achte Suende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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anfeuchtete.
    Malberg ließ sie nicht aus den Augen, und ihm entging nicht, wie Fräulein Kleinlein nach jeder Seite kaum merklich den Kopf schüttelte. Schließlich blickte sie auf und fragte: »Was soll das sein? Von Martin Luther stammen diese Aufzeichnungen jedenfalls nicht.«
    »Natürlich nicht«, knurrte Malberg ungehalten. »Mich interessiert nur der Inhalt.«
    »Apokryph, ich meine, ziemlich rätselhaft. Laetare, Sexagesima, Reminiscere, Oculi - das sind Kalenderangaben des christlichen Kirchenjahres. Und zwar immer Sonntage.«
    »Und die Namen dahinter? Es handelt sich dabei doch um Namen?«
    »Zweifellos. Wenn ich mich nicht irre ...« Fräulein Kleinlein nahm ein abgegriffenes Bibellexikon aus dem Wandregal und blätterte heftig. »Mein Gedächtnis hat mich nicht im Stich gelassen«, meinte sie triumphierend und schob den Steg ihrer Hornbrille auf die Nasenwurzel. »Im hebräischen Kanon«, begann sie zu lesen, »heißen die geschichtlichen Bücher von Josua bis zum 2. Buch der Könige die früheren Propheten. Ihnen steht die Gruppe der späteren Propheten gegenüber, die in ›große‹ und ›kleine‹ Propheten unterteilt werden. Die großen Propheten sind: Jesaja, Jeremia, Ezechiel und Daniel. Die zwölf kleinen Propheten sind: Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zephanja, Haggai, Sacharja, Maleachi.«
    »Nahum, Sacharja, Maleachi …«, murmelte Malberg tonlos. »Namen, die auch in dem Notizbuch vorkommen. Jedenfalls einige von ihnen.«
    »So ist es. Aber wenn Sie mir die Bemerkung erlauben: Sinn macht das Ganze nicht. Es sei denn …«
    »Es sei denn?«
    »Nun ja, der Gedanke ist absurd. – Nein, vergessen Sie’s!«
    Malberg wollte Fräulein Kleinlein nicht weiter bedrängen. Er fürchtete, sie könnte ihm unliebsame Fragen stellen. Im Übrigen glaubte er, den gleichen Gedanken zu haben wie seine Bibliothekarin.

Kapitel 9
    Die Fahrt rheinaufwärts in Richtung Frankfurt verlief in trüber Stimmung. Weder Kardinalstaatssekretär Gonzaga noch Monsignor Soffici verloren ein Wort. Auch Alberto blieb stumm. Er hielt den Blick starr auf die Straße gerichtet.
    Die Erlebnisse der vergangenen vierundzwanzig Stunden hatten die drei Männer zutiefst aufgewühlt. Keiner fand auch nur einen Blick für die romantische Rheinlandschaft, welche die tiefstehende Sommersonne in glänzendes Licht tauchte.
    Am Wiesbadener Kreuz bog Alberto auf die A 3 in Richtung Flughafen ab. Der morgendliche Berufsverkehr zwang ihn, seine Geschwindigkeit zu verlangsamen. Von Nordwesten schwebte eine Maschine nach der anderen ein, manche in so niedriger Höhe, dass Alberto unwillkürlich den Kopf einzog.
    Am meisten litt Soffici unter dem Schweigen, das beinahe schon eine Stunde andauerte, und er grübelte nach, welche Ursachen ihre Sprachlosigkeit haben mochte. War es die Scham, die sie alle verstummen ließ, oder das Unbegreifliche, in das sie alle drei verwickelt waren.
    Soffici atmete auf, als Alberto den Wagen auf dem Kurzparkstreifen vor der Abflughalle A zum Stehen brachte. Stumm verließ Gonzaga das Fahrzeug. Auch als Alberto die kleine Reisetasche aus dem Kofferraum holte und dem Kardinal in die Hand gab, nickte dieser nur stumm und verschwand in der gläsernen Eingangstür. Alberto und Soffici setzten die Rückreise im Auto fort.
    Gonzaga trug zwei One-way-Tickets bei sich. Eines war auf den Namen Dottor Fabrizi ausgestellt, das andere auf den Namen Mr Gonzaga. Das eine galt für den Flug von Frankfurt nach Mailand, das andere für den Flug Mailand—Rom. Gonzaga hatte wirklich an alles gedacht.
    Die Stewardess am Alitalia-Schalter mahnte zur Eile. Auf der großen Anzeigetafel blinkten die grünen Lämpchen »Boarding«. Gonzaga beeilte sich. Er durfte die Maschine nicht versäumen. In letzter Minute erreichte er Gate 36 und nahm seinen Business-Platz in der Boeing 737 ein.
    Es dauerte endlose Minuten, bis sich die nur zur Hälfte besetzte Maschine in Bewegung setzte und in die Schlange wartender Flugzeuge einreihte. Als der Flieger endlich abhob, überkam den Kardinal ein erlösendes Gefühl. Die Beklemmung der letzten Tage wich der Erleichterung. Endlich war der Albtraum zu Ende.
    Nach steilem Start nahm die Boeing Kurs Richtung Süden. Gonzaga blickte teilnahmslos aus dem Fenster. Über seinem Sitz fauchte die Klimaanlage. Die Anschnallzeichen erloschen, und der Kardinal döste vor sich hin. Er war mit einem Mal todmüde. Nun fiel die Last von ihm ab, und er versuchte zu schlafen.
    »Verzeihen Sie,

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