Die Achte Suende
auf dem sich alles aufreihen ließ, das Geschehen der letzten Tage und das unerwartete Ansinnen des Fremden. Aber in der Kürze der Zeit fand er keine Erklärung, nicht einmal eine Theorie, die auch nur ansatzweise eine Schlussfolgerung zuließ. Im Übrigen war Gonzaga viel zu aufgewühlt, um aus dem verwirrenden Geschehen logische Schlüsse zu ziehen.
»Sie haben noch gar nicht nach dem Preis gefragt«, unterbrach der Mann auf dem Nebensitz Gonzagas Gedanken.
Der sah ihn nur fragend an.
»Nun ja«, nahm der Unbekannte seine Rede wieder auf, »ein derartiges Objekt hat natürlich keinen Marktwert wie ein Gemälde von Tizian oder Caravaggio. Aber ich denke in der Preisregion der Genannten werden wir uns schon bewegen. Was meinen Sie?«
Gonzaga hatte nicht die geringste Ahnung, was ein Tizian oder Caravaggio wert war. Er weigerte sich auch, darüber nachzudenken. Wie konnte man einen vertrockneten Blutrest von unserem Herrn Jesus mit einem Ölgemälde von Menschenhand vergleichen?
»Immerhin«, fuhr der Fremde fort, »hätte ich die Reliquie ja auch den Flagrantes zum Kauf anbieten können. Aber ich wollte fair sein und zuerst den Vatikan fragen. Ich könnte mir vorstellen, dass dieses Stückchen Stoff der Kirche mehr wert ist als allen anderen.«
Der Kerl wusste also Bescheid. Gonzaga lief es heiß und kalt über den Rücken. Gewiss, das Ganze konnte ein großer Bluff sein. Aber für einen gewöhnlichen Ganoven hatte der Mann zu viele Detailkenntnisse. Wer die Bezeichnung der Tresore im Vatikanischen Geheimarchiv kannte, mit dem war nicht zu spaßen.
»Ich kenne Ihre Vorstellungen nicht«, begann Gonzaga umständlich. »Dachten Sie, ich würde im nächsten Augenblick einen Blankoscheck aus der Tasche ziehen? Oder was?«
»Herr Kardinal«, ereiferte sich der Fremde, »Sie sollten uns und unser Angebot durchaus ernst nehmen!«
»Uns? Verstehe ich Sie recht, dass Sie kein Einzelgänger sind, dass eine kriminelle Organisation hinter Ihnen steht?«
Der entstellte Mann war sichtlich aufgebracht, und um sich zu beruhigen, vielleicht aber auch aus einer gewissen Verlegenheit heraus, strich er mit dem Handrücken seiner Rechten über das durchsichtige Cellophan. Er antwortete nicht.
»Nennen Sie endlich Ihren Preis!«, drängte der Kardinal.
»Machen Sie ein Angebot, und verdoppeln Sie die Summe!«
Gonzaga kochte vor Wut. Der Kerl war sich seiner Sache sicher.
Nach längerem Schweigen von beiden Seiten erhob sich der Fremde von seinem Sitz, beugte sich zu Gonzaga herunter, wobei seine Erscheinung noch bedrohlicher wirkte, und sagte: »Sie können sich Ihr Angebot noch einmal überlegen. Ich werde Sie in den nächsten Tagen anrufen.«
Damit verschwand er hinter dem silbergrauen Vorhang, der die Business-Class von der Economy-Class trennte.
Gonzaga blickte abwesend aus dem Fenster. Er war wie gelähmt. Fünftausend Meter unter ihm zog die Schweizer Alpenkette vorüber. Auf den höchsten Gipfeln lag Schnee. Gonzaga war klar, er hatte sich auf ein gefährliches Spiel eingelassen, auf ein verdammt gefährliches Spiel.
Kapitel 10
Als Lukas Malberg am folgenden Tag wieder in Rom eintraf, fand er in seinem Hotel eine Nachricht von Caterina Lima vor: »Bitte dringend um Rückruf. Im Fall Marlene Ammer hat sich etwas Neues ergeben.«
Die geheimnisvollen Eintragungen in Marlenes Notizbuch hatten Malberg vorübergehend vom Geschäft seines Lebens abgelenkt, das er noch heute über die Bühne bringen wollte. Dazu hatte er einen Vertrag vorbereitet, der ihm, gegen Aushändigung des Bankschecks der HVB in Höhe einer viertel Million, die gesamte Büchersammlung des Marchese Falconieri übereignete.
Ein Problem, das noch gelöst werden musste, war der Transport der wertvollen Fracht von Rom nach München.
Nachdem er sein Zimmer im Hotel Cardinal bezogen hatte, griff Malberg zum Telefonhörer und wählte die Nummer der Reporterin.
Caterina tat sehr aufgeregt – Reporter sind bekanntlich immer aufgeregt –, jedenfalls machte sie den Vorschlag, sie sollten sich im Colline Emiliane zum Essen treffen. Und da Caterina bei aller Aufgeregtheit am Telefon auch eine gute Portion Charme versprühte, eine Eigenschaft, für die Malberg überaus empfänglich war, sagte er ohne Zögern zu und machte sich auf den Weg.
Das Lokal in der Via degli Avignonesi, einer kleinen, abseits vom Lärm gelegenen Straße, war angeblich ein Geheimtipp und berühmt für die hervorragende Küche der Emilia Romagna. Malberg wurde erwartet.
Er hatte
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