Die Achte Suende
es eine grauenhafte Entdeckung.
Über Nacht hatte der Rhein eine nackte Wasserleiche angeschwemmt. Sie hatte sich in dem schwimmenden Landungssteg verfangen und dümpelte kopfüber und mit ausgebreiteten Armen im Wasser.
Die männliche Leiche – um eine solche handelte es sich – stellte die Kölner Polizei vor eine schwierige Aufgabe. Schnell wurde klar, dass es sich weder um einen Unfall noch um Selbstmord handelte, denn der etwa vierzigjährige Mann wies am Kopf eine Schussverletzung auf, die seine linke Schädeldecke zertrümmert und im Bruchteil einer Sekunde den Tod herbeigeführt hatte. Nach dem Zustand der Leiche zu schließen und unter Einbeziehung der Fließgeschwindigkeit des Flusses kamen die Ermittler zu dem Schluss, dass der Mann zwischen Bingen und Neuwied einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein musste.
Die Obduktion zwei Tage später bestätigte den Anfangsverdacht: Der Mann war aus größerer Entfernung mit einer großkalibrigen Waffe, vermutlich einer Maschinenpistole russischer Herkunft, niedergestreckt worden. In seinem Schädel fanden sich zwei Projektile. Es gab keine Schmauchspuren.
Daneben registrierten die Pathologen der Kölner Universitätsklinik Verletzungen am rechten Oberschenkel, die mit dem Mord in keinem Zusammenhang standen und aufgrund ihres Alters keine Rückschlüsse auf ihre Ursache zuließen.
Mit einer Wahrscheinlichkeit von achtzig Prozent gaben die Pathologen zu Protokoll, seien zwischen dem Tötungsdelikt und der Entledigung der Leiche in den Fluss zwölf Stunden vergangen. In Lunge und Magen fanden sich keine Spuren von Flusswasser. Daher könne ausgeschlossen werden, dass der Mann schwimmend oder im Wasser treibend erschossen worden war. Die Blutanalyse ergab keinen Hinweis auf Alkohol-oder Drogenkonsum.
Unter dem Aktenzeichen K-0103-2174 nahm der zuständige Staatsanwalt Ermittlungen gegen Unbekannt auf.
Am folgenden Tag erschien der
Kölner Express
mit dem Bild eines entstellten Mannes auf der Titelseite. In großen Buchstaben stand darunter zu lesen:
Mysteriöser Mord.
Wer kennt diesen Mann?
Kapitel 12
Es war noch früh am Morgen, und Kardinalstaatssekretär Gonzaga saß vor zwei wohlgeordneten Aktenbergen. Sein Büro im Apostolischen Palast, unmittelbar unter den Privaträumen des Papstes gelegen, gab den Blick frei auf den Petersplatz. Vereinzelt hallten durch das halb geöffnete Fenster Stimmen herauf: die geschwätzigen Franziskanerpatres, die sich vom Palazzo del Tribunale zu den Beichtstühlen von St. Peter begaben. Mechanisch setzte Gonzaga seine Unterschrift unter die einzelnen Dokumente. Er schien nicht so recht bei der Sache und blickte immer wieder nachdenklich aus dem Fenster, als gehe ihn der Aktenkram nichts an. Schließlich legte er seinen schwarzen Füllfederhalter beiseite, lehnte sich zurück und schob die rote Schärpe zurecht, die sich über seinem schwarzen Talar wölbte.
Ohne anzuklopfen, betrat der Sekretär des Kardinals den Raum: »Guten Morgen, Excellenza, die Morgenpost!«
»Etwas Wichtiges?«, knurrte Gonzaga und überflog die geöffneten Briefe.
»Soweit es mir zusteht, das zu beurteilen, nein, Excellenza. Es sei denn …«
»Ja?«
Soffici zog ein Blatt Papier aus dem Stapel. »Eine E-Mail von Erzengel Gabriel!«
»Ziemlich albern, finden Sie nicht?«
»Die Idee kam nicht von mir, sondern von Schwester Judith vom Orden der Franciscan Sisters of the Eucharist, die das Internet-Büro leitet und ihre Computer nach den Erzengeln Michael, Raphael und Gabriel benannt hat.«
Gonzaga grinste gequält. Lachen war ihm fremd. Lachen, pflegte er zu sagen, ist die Maske des Teufels. In den sieben Jahren als Kardinalstaatssekretär hatte Gonzaga gelernt, dass die Last seines Amtes nur mit einer Portion Zynismus zu ertragen war. Da hielt er plötzlich inne. Der Text des Computerausdrucks lautete:
»Excellenza. Es war mir eine Freude, um nicht zu sagen ein Vergnügen, Ihnen dem Himmel so nahe zu begegnen. Was mein Angebot betrifft, Ihnen eine Probe vom Blut unseres Herrn zu überlassen, scheint mir ein Preis von einhunderttausend Dollar angemessen. Ich werde mir erlauben, mich in den nächsten Tagen bei Ihnen zur Klärung der Modalitäten unter dem folgenden Namen zu melden: Brandgesicht.«
Mehr als der unverschämte Inhalt des Schreibers schockierte den Kardinal der Name des Unterzeichners.
»Ein Verrückter«, bemerkte Soffici und hob verlegen die Schultern. »Beinahe täglich befindet sich so ein Brief in Ihrer Post. Was diesen
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