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Die Achte Suende

Die Achte Suende

Titel: Die Achte Suende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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wenn ich Sie anspreche.« Im Halbschlaf vernahm er die Stimme eines Mannes auf dem Nebensitz. Gonzaga hatte ihm bisher keine Beachtung geschenkt, weil der Sitz neben ihm beim Start leer geblieben war. Nun saß da ein Mann. Gonzaga blickte ihm ins Gesicht und erschrak. Der Fremde trug einen Hut, und seine Kopfhaut wies dunkelrote Brandflecken auf. Wimpern und Augenbrauen fehlten.
    »Ich möchte Ihnen ein Geschäft anbieten«, sagte der entstellte Mann leise.
    »Ein Geschäft?« Gonzaga zog die Augenbrauen hoch. »Danke, ich bin nicht ...«
    »Wenn Ihnen daran gelegen ist«, fiel ihm der Fremde ins Wort, »wenn Ihnen daran gelegen ist, die heilige Mutter Kirche vor dem Chaos zu retten, sollten Sie mich anhören, Herr Kardinal.«
    »Hören Sie, ich weiß nicht, was Sie von mir wollen und was Sie mit Ihrer seltsamen Anrede >Herr Kardinal< bezwecken. Also lassen Sie mich in Ruhe, bitte!«
    Der Rotgesichtige tat verständnislos und schüttelte den Kopf. Dabei wedelte er mit etwas, das Gonzaga zunächst für ein unbedeutendes Stück Plastikfolie hielt. »Machen wir uns doch nichts vor, Herr Kardinal. Ein Flanell-Anzug von Cerutti ist noch lange nicht in der Lage, die Identität eines Kardinalstaatssekretärs zu verschleiern.« Er grinste unverschämt.
    In Sekundenschnelle versuchte Gonzaga eine Verbindung herzustellen zwischen den Ereignissen der vergangenen Nacht und dem Mann auf dem Sitz neben ihm. Der Versuch misslang.
    »Wer sind Sie, und was wollen Sie?«, erkundigte sich Gonzaga misstrauisch.
    »Mein Name tut nichts zur Sache. Ich möchte Ihnen nur ein Geschäft anbieten.«
    »Also gut. Ich höre.«
    »Das hier ist ein winziges Stück vom Grabtuch unseres Herrn.«
    Gonzaga spürte einen Stromschlag vom Kopf bis in die Zehen durch seinen Körper schießen. Jetzt betrachtete er den Cellophanbeutel, den der fremde Mann ihm vor die Nase hielt: ein winziges Stück Stoff, nicht viel größer als eine Briefmarke, eingeschweißt zwischen zwei Folien. Die ockerfahle Farbe und das Webmuster hatten tatsächlich Ähnlichkeit mit dem Turiner Leintuch, das er zur Burg Layenfels gebracht hatte.
    Gonzaga war bemüht, die Situation herunterzuspielen. »Angenommen, bei dem Objekt handelte es sich wirklich um eine Probe vom Grabtuch unseres Herrn – wie Sie sich auszudrücken pflegen, dann stellt sich doch die Frage, was ich damit soll?«
    »Das, Kardinal Gonzaga, bliebe Ihnen überlassen. Sie könnten das Objekt im Tresor Alpha des Vatikanischen Geheimarchivs verschwinden lassen, Sie könnten es aber auch vernichten. Das wäre vielleicht sogar die sicherste Lösung.«
    Gonzaga wurde zunehmend unruhig. Der Gebrandmarkte kannte nicht nur
ihn
sehr genau. Er musste auch Kenntnis von dem Unternehmen Apokalypse 20,7 haben. Wie sonst wäre es zu dieser Begegnung gekommen?
    Was ihn jedoch völlig aus der Fassung brachte, waren seine Insider-Kenntnisse des Vatikanischen Geheimarchivs. Woher wusste er, dass die Archiv-Tresore mit den Buchstaben des griechischen Alphabets bezeichnet waren? Und woher, dass Tresor Alpha die größten Geheimnisse der Christenheit barg, Dokumente, die es offiziell gar nicht gab wie den Obduktionsbefund Johannes Pauls I., der nach dreiunddreißig Tagen als Papst tot in seinem Bett aufgefunden worden war? Oder das im Mittelalter gefälschte Constitutum Constantini, das die Kirche mit einem Federstrich zum reichsten Grundbesitzer des Abendlandes machte?
    »Man müsste das Objekt zuerst einer eingehenden Untersuchung unterziehen«, bemerkte der Kardinal. »Im Übrigen, und das mag Sie vielleicht überraschen, fehlen in dem Turiner Grabtuch insgesamt drei winzige Stoffteile, die in jüngerer Zeit von fachkundigen Nonnen wieder eingesetzt wurden.«
    »Da erzählen Sie mir nichts Neues, Herr Kardinal. Was
dieses
Objekt jedoch von den beiden anderen Stoffproben unterscheidet: Nur auf diesem winzigen Stück Stoff finden sich Blutspuren. Und was das bedeutet, brauche ich Ihnen nicht weiter zu erklären.«
    Wie gebannt starrte Gonzaga auf das winzige trapezförmige Stück Stoff. Deutlich war ein gelblich-brauner Schatten in Tropfenform zu erkennen. Ja, er erinnerte sich genau an die trapezförmige Fehlstelle in dem Leinen, die inzwischen ausgebessert worden war. Mein Gott, wie kam dieser Krüppel in den Besitz der Reliquie?
    Der Kardinal wagte nicht, dem Unbekannten diese Frage zu stellen. Er war ganz sicher, darauf keine oder, wenn überhaupt, eine falsche Antwort zu erhalten. Verzweifelt suchte Gonzaga nach dem roten Faden,

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