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Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Titel: Die Adler von Lübeck: Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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des Reeders entfalteten ihre Wirkung. Am liebsten wäre Schnabel an die lange Tafel gegangen, an der die Stühle standen, hätte einen Stuhl ergriffen und ihn zehnmal auf den Boden gestoßen. Das Triumphgefühl brauchte ein Ventil. Wann hatte er zum letzten Mal einen Raum voller denkender Geister dermaßen beeindruckt? Warum fanden solche Momente nicht häufiger statt? Warum nutzte er nicht häufiger die Gelegenheit, sich in freier Rede vor Publikum zu äußern? Wusste seine Frau eigentlich, mit wem sie Seite an Seite lebte?
    »Möchte mein Kind etwas dazu sagen?«, fragte der Fürst.
    »Farbe kann nicht den Tod bringen«, sagte die Prinzessin. Im nächsten Moment stand sie am Topf und hielt die Hand in die Höhe. Fäden ziehend, fand die braune Farbe Kontakt zum hölzernen Boden.
    »Werde ich sterben, wenn ich die Farbe esse?«
    Die meisten Männer machten unwillkürlich einen Schritt in ihre Richtung, dem kein weiterer folgte, als die junge Frau die Hand zum Munde hob.
    »Na, was ist?«, fragte sie kampflustig. »Glaubt Ihr, ich gehe mit dem Leben meiner Freunde fahrlässig um? Glaubt Ihr, ich opfere sie, damit ich zu Ruhm und Ehre gelange? Antwortet mir!«
    »Tochter«, sagte der Fürst mit zarter Stimme. »Macht keine Dummheit. Das ist es nicht wert.«
    »Oh doch, der Vorwurf ist schwer. Ihr seid nicht schnell empört, aber so wie heute wart Ihr noch nie.«
    »Es ist doch nur Lübeck, mein liebes Kind. Die Stadt im Westen, über die wir uns immer lustig machen. Lübeck, wo es nach Misthaufen stinkt und es so eng ist, dass man nicht Atem holen kann, wo kein Licht in die Gassen fällt und wo alles schimmelt, weil überall Wasser ist.«
    »Der Gestank und der Schimmel haben ihnen aber nicht den Mund geschlossen. Deshalb sagen sie, ich bin eine Mörderin.«
    »Aber so haben sie es nicht gesagt. Der Mann hier wird dir das bestätigen.«
    Schnabel wich den auffordernden Blicken des Fürsten aus, solange es ihm möglich war. Leider trat dann der mit Metall Behängte neben ihn und sorgte dafür, dass Schnabel den Fürsten anblickte. So weit war es also gekommen! Er sollte das Leben der Prinzessin retten! Wenn das dumme Kind die Farbe fressen würde, würden ihn alle als Mörder bezeichnen, obwohl sie damit angefangen hatte. So hatte sich Schnabel die Stunde seines Triumphs nicht vorgestellt. Immerhin war sie die Tochter des Fürsten, für sie gab es keinen Ersatz, jedenfalls nicht auf die Schnelle. Der Fürst war verwitwet, er hatte nur zwei oder drei Kinder, dürftig für einen Mann, der von morgens bis abends Kinder zeugen konnte, wenn ihm der Sinn danach stand. Vielleicht stand er nicht. Schnabel hätte nur eine diesbezügliche Äußerung tätigen müssen, und sie hätten ihm den Kopf vom Hals geschlagen. Dann wäre er der erste Kaufmann gewesen, den sie im Ratssaal im wörtlichen Sinn einen Kopf kürzer gemacht hätten.
    Während er sich seinen schwarzen Gedanken hingab, sah er den Fürsten bei seiner Tochter stehen, sah, wie er auf sie einredete, mit leisen Worten, und sie hörte ihm zu. Bei Schnabels zu Hause hatte seine Frau immer schon den Raum verlassen, bevor sich der Hausherr warm geredet hatte. Der fürstliche Arm lag auf den Schultern seines Kindes, störrisch sah sie aus, wie die Bälger der Reichen und Adeligen aussahen, wenn sie ihren Willen nicht bekamen. Schnabel starrte auf den Farbfleck. Was das kosten würde, alles wieder sauber zu machen! Aber man hatte es ja, die Stadt gab gerne ihr Geld aus, um die Haufen wegzuwischen, die verwöhnte Kinder hinterließen. Dann würde eben das Ufer im Hafen später befestigt werden, es kam ja nicht darauf an, wichtig war nur, dass kleine Prinzen und Prinzessinnen wieder lachten und eine neue Stelle suchten, wo sie ihre Haufen hinterlassen konnten.
    »Es ist unerträglich!«, rief Schnabel.
    Alle starrten ihn an. Es war ein kurzer Moment der Unachtsamkeit, aber die Prinzessin nutzte ihn und steckte die Hand in den Mund. Die Farbe lief ihr übers Gesicht, alles sprang auf sie zu, wollte sie dazu bringen, den Mund zu öffnen, die Farbe auszuspucken, würgen sollte sie und sich vom Tod befreien. Die Prinzessin verschwand im Haufen der sie umdrängenden Männer. Schnabel, angewidert, wandte sich der Tür zu und fand sie überraschend verstellt. Der Metallträger blickte ihn an, mit einer sondierenden Kühle, die Schnabel schrecklicher fand als heiße Wut, studierte er die erst patzige, bald eingeschüchterte Miene des Kaufmanns.
    »Das wird Folgen haben«, knurrte der

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