Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
versehentlich die Haushälterin anrempelte oder mit Vorsatz, war nicht zu entscheiden und im nächsten Moment auch nicht von Belang.
Denn sie rief: »Sie sagen, ich bin eine Giftmischerin! Das wird Konsequenzen haben!«
46
Die Konsequenzen waren fürchterlich. Nicht nur, dass der Fürst persönlich auf dem Rathaus vorstellig wurde. Er platzte ausgerechnet in dem Moment in den Raum des Bürgermeisters, in dem dieser damit beschäftigt war, den zerstörten Rahmen des historischen Bürgermeister-Porträts zusammenzuklopfen . Während der Hammer über dem Kopf des Amtsvorgängers schwebte, fauchte der Fürst: »Ihr könnt also nicht nur denunzieren. Ihr seid auch im Zerstören gut.«
Natürlich war dem Bürgermeister hinterbracht worden, was sich über der Stadt zusammenbraute. Aber entscheidungsschwach von Natur und faul aus Neigung, hatte er beschlossen, sich mit der Causa erst zu befassen, wenn sie ihm über die Zehen fahren würde. Dieser Augenblick war nun gekommen. In der Begleitung des Fürsten befanden sich sein Hofmarschall und ein Mann, den er nicht vorstellte, dem aber das Militärische und die Freude am Gebrauch von Degen und Pistole aus allen Litzen seiner Uniform lugten.
»Ich ersuche um ein Gespräch«, sagte der Fürst eisig. »Vielleicht verträgt Euer Marodieren einige Minuten Zeit.«
So sprach niemand sonst mit dem Bürgermeister von Lübeck. Zwar hätte es den nicht gewundert, wenn sich häufiger jemand im Tonfall vergriffen hätte, er selbst machte es ja mehrfach am Tag. Aber hier kam verschärfend etwas anderes hinzu: Bürgermeister Goldinger hatte Angst. So klingelte er eilig nach Verstärkung und schämte sich, als mit den Ratsherren Voigt und Wermelskirchen zwei wenig Respekt heischende Kollegen herbeieilten. Spiddelig der eine, verfressen der andere, wirkten sie in dem Maße noch alberner, wie sie versuchten, etwas herzumachen, indem sie neben Goldinger Position bezogen.
Alles Folgende trug sich im Stehen zu.
Der Fürst kam sofort zur Sache, die jeder im Raum kannte. In Lübeck ging die Fama um, die Tochter des Fürsten habe einen Giftanschlag vorbereitet. Angeblich würde sie in ihrer Werkstatt neben dem Sommersitz mit Farben arbeiten, die ein Gift enthielten, dessen Verzehr den Menschen vom Leben zum Tode beförderte. Auch über den Atem aufgenommen, seien Schäden nicht ausgeschlossen.
»Ist das wahr?«, donnerte der Fürst. »Gibt es einen Kretin, der sich zu diesen Unterstellungen hinreißen ließ?«
Goldinger blickte seine Kollegen an, die blickten kraftvoll zurück.
»Ich höre«, knurrte der Fürst. »Ich höre nicht mehr lange, weil ich nämlich nicht gekommen bin zu hören, sondern um die Unterstellung aus der Welt zu schaffen.«
»Dachtet Ihr an ein Duell?«
Alle starrten Goldinger an.
»Na, das liegt doch nahe«, verteidigte der sich. »So macht man das doch unter Ehrenmännern. Das wird man doch von einem Vater erwarten dürfen, der sich für sein Kind einsetzt.«
Der Militärische ließ rasseln, was er an Metall an sich trug und rief: »Das muss aus der Welt! Sofort! Das belastet unsere Beziehungen!«
»Unsere Beziehungen«, wiederholte Goldinger . »Das werden wir am Ende ja wohl überleben.«
»Ich habe mit dem kaiserlichen Gesandten gesprochen, der gerade auf meinem Besitz Quartier nahm«, teilte der Fürst mit. »Er war für 20 Tage bei Euch angesagt. Er stimmt zu, den Besuch so lange auszusetzen, bis der Affront geklärt ist. Er lässt Euch mitteilen, dass die Stadt in der Pflicht sei, ihre Brunnenvergiftung einzustellen und sich bei der Prinzessin in aller gebotenen Form zu entschuldigen. Er stellt sich dafür einen Zeitraum von nicht mehr als einem Tag vor.«
Das hatte Goldinger befürchtet. Entschuldigen! Genau das, wozu er am wenigsten Talent besaß. Entschuldigungen sahen immer so aus, als sei man im Unrecht. Lübeck war aber nicht im Unrecht. Im Unrecht war man nur, wenn man klein und schwach war.
Glücklicherweise traf jetzt Beistand aus allen Flügeln des Rathauses ein, vor allem Ratsherren, die den Fürsten persönlich kannten und wussten, was eine Verbeugung ist.
Worum es ging, stand nicht in Frage. Seit einigen Wochen arbeitete die Prinzessin an einem monumentalen Gemälde, das später auf den Segeln des Rosländerschen Riesenschiffs für Aufsehen sorgen sollte. Anstatt sich den Pflichten eines üppig alimentierten Adels-Sprosses zu widmen, musste die Prinzessin ihre Tage damit füllen, ihr überschaubares künstlerisches Talent auf Segeltuch zu
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